Freitag, 16. August 2013

Aufzeichnungen eines Aussenseiters, 16.8.2013

Während meiner Lehre arbeitete ich mit einem Mann zusammen, der in seinen
jüngeren Jahren Architektur- und Kunstgeschichte studiert, dieses Studium
aber nie abgeschlossen hatte. Das Wissen über und die Liebe zur Kunst hatte
er aber nach wie vor. Einmal diskutierten wir über Kunst und kamen auf die
Renaissance zu sprechen.
"Für mich beginnt die Renaissance bei Botticellis 'Venus'", meinte ich, worauf
er die Jahreszahlen nannte, nach denen kunsthistorisch die Renaissance begon-
nen hatte. Wir schlugen nach, wann Sandro Botticelli seine "Geburt der Venus"
eigentlich gemalt hatte und stellten fest: Wir hatten beide recht! Sein Wissen
und Verstand und mein Gefühl waren sich einig. Wenn sich Kopf und Herz
doch immer so einig sein könnten! Gerade Sandro Botticelli ist ein gutes Bei-
spiel für den sogenannten "Kopf-Herz-Konflikt". Zu seinen Lebzeiten predigte
in den Strassen seiner Heimatstadt Florenz der Mönch Frau Savonarola, ein
Mann, der heute als Fanatiker und Hassprediger bezeichnet werden würde,
ähnlich jenen Imamen, welche heute den Islam in Misskredit bringen. Der
einzige Unterschied war, dass Savonarola eben Mönch und also christlich
war. Zu jener Zeit gab es in Florenz einen Bildersturm, dem viele Kunst-
werke mit heidnischen oder aufreizenden Motiven zum Opfer fielen. Im
Laufe der Geschichte gab es ja mehrere solcher Bilderstürme, z.B. als das
Christentum sich ausbreitete und die alten Götzenstatuen zerstörte und
später als die Reformation kam und viele katholische Heiligenstatuen
dran glauben mussten. Deshalb muss heute die antike "Venus von Milo"
ohne Arme und mancher katholische Heilige ohne Kopf auskommen.
Und in islamischen Ländern lief vor einigen Jahren auch wieder so was
Aehnliches, als islamische Extremisten buddhistische Statuen zerbombten.
Das Verrückte daran ist, dass solche Menschen, egal ob christlich, islamisch
oder was auch immer, dies im Namen ihrer Religion, ihres Gottes, ihrer
Tradition zu tun glauben, aber dabei einen grossen Teil der Tradition und
der Geschichte ihrer Länder zerstören. Wenn man sich die katholischen
Heiligenstatuen oder die "Venus von Milo" anschaut, resp. das, was von
ihnen übrig ist, dann lässt sich erahnen, welch wunderbare Kunstwerke
dies einmal gewesen sein müssen. Damals nun, als Savonarola nach Flo-
renz kam und durch ihn viele Scheiterhaufen loderten- nicht nur mit
Kunst, manchmal sogar auch mit Menschen als Brennstoff!- da mussten
auch viele Bilder Botticellis dran glauben. Mit einem Unterschied: Botticel-
li hatte diese selber verbrannt, da er zum Anhänger Savonarolas geworden
war. Ob aus Ueberzeugung oder aus Angst, das kann ich leider nicht beant-
worten. Zwei seiner grösseren Gemälde mit antik-mythologischem Inhalt
überlebten dennoch, vielleicht weil er sie für zu gut befand, um sie zu zer-
stören. Vielleicht aber auch, weil sie für einflussreiche Personen entstanden
und wohl schon bei diesen an den Wänden hingen, offen oder verdeckt.
Das eine war "Die Geburt der Venus", das andere "La primavera- Der
Frühling". Mit allegorischen Gestalten stellte er darauf das Erwachen der
Frühlingsnatur dar, feenhafte Wesen, welche die drei Grazien aus der
griechischen Mythologie oder den sanften Windhauch darstellten. Viel-
leicht zeigte das Bild aber auch etwas völlig Anderes und wurde bloss
später von den Kunsthistorikern so interpretiert. Eines aber ist sicher:
Wenn man sich diese beiden Werke ansieht, dann lässt sich erahnen, was
für ein unglaubliches Potenzial dieser Künstler eigentlich gehabt hätte.
Schade, dass wir von ihm ansonsten fast nur noch Madonnen und Andachts-
bilder kennen. Als selber künstlerisch tätiger Mensch bin ich sicher, dass
er selber am meisten darunter litt, als er seine anderen Mythologien zer-
störte.

Sandro Botticelli hiess übrigens gar nicht Botticelli, so wurde er nur genannt.
Das ist italienisch und heisst "Fässchen". Der Spitzname traf auf Sandro optisch
aber gar nicht zu, sondern auf einen Verwandten von ihm, der in Florenz ein
angesehener und populärer Geschäftsmann war und so dick war, dass man ihn
"Boticelli" nannte. Und weil wohl Alle wussten, dass der Maler mit ihm ver-
wandt war, aber keiner mehr den richtigen Familienname wusste, wurden kur-
zerhand alle Mitglieder dieser Familie "Botticelli" genannt. Dabei hatten sie
es mit "Botticelli" vielleicht sogar besser getroffen, denn der richtige Familien-
Name war Filipepi. Immerhin hatte Botticelli einen Familiennamen, das war
damals nämlich keine Selbstverständlichkeit. Leonardo z.B. hatte keinen, da
niemand wusste, wer sein Vater war, er wurde "Leonardo da Vinci" genannt,
weil er aus der Ortschaft Vinci kam.
Damals hatten die Menschen auch noch eine andere Art mit übergewichtigen
Mitmenschen umzugehen. Dieser dicke Botticelli z.B. war ein angesehener
Mann, unabhängig davon, wieviel er wog. Und beim englischen König
Henry VIII., da störte man sich noch mehr daran, dass er seine Ehefrauen
hinrichten liess, als daran, dass er enorm fett war. In seinen letzten Jahren
soll er so schwer geworden sein, dass ihn seine Hofleute mittels einer Hebe-
vorrichtung in's Bett bringen mussten, wenn er schlafen gehen wollte. Sie
mögen wohl darüber geflucht haben, das wäre ihnen auch nicht zu verübeln
gewesen, aber dennoch... Damals ging man mit den Uebergewichtigen noch
etwas anders um. Das moderne Schönheits- gleich Schlankheitsideal war
noch nicht geboren. Ein Bauch galt damals als Statussymbol. Was allerdings,
das muss man auch erwähnen, auch damit zusammenhing, dass viele Men-
schen Hunger litten, während wir heute- zumindest in unseren Breitengra-
den- im Ueberfluss leben. Das Schönheitsideal scheint irgendwie zumeist
jenes zu sein, das seltener vorkommt. Heute kommt uns Botticellis Venus
üppig, gar etwas füllig vor, damals hätte sie als schlank, zierlich, vielleicht
gar als dünn oder sogar mager gegolten. Ein bekanntes Beispiel für diese
These des "Seltenheits-Schönheitsideals" ist auch der Barockmaler Peter
Paul Rubens, der zur Zeit des 30jährigen Krieges lebte, einer wirklich
schlimmen Zeit. Heute gelten seine Frauengestalten als dick, damals galt
seine zweite Ehefrau, die er gerade in späteren Jahren oft malte, als eine der
Schönsten der Welt. Der Komiker Dieter Nuhr verlor in einem seiner
früheren Bühnenprogramme ein paar Worte über Rubens' Bild "Das
Pelzchen", das Helène Fourment, seine zweite Frau, mit nichts umhüllt
als einem Pelzmantel zeigt, den sie so trägt, dass er mehr ent- als verhüllt.
Nuhr meinte, diese sehe aus, als würde sie sich vorwiegend von Prali-
nen ernähren und ungesund leben, und doch hätte sie ihren Mann um
Jahrzehnte überlebt. Nuhr wollte damit andeuten, wie ungerecht er es
fände, dass Frauen, selbst unter solchen Umständen, die längere Lebens-
erwartung hätten. Was er dabei übersah: Rubens war bereits ein alter
Mann, als er sie heiratete; sie aber war noch keine 20! Später, im 19.
Jahrhundert, machte ihm Pierre-Auguste Renoir dies nach, auch der
ehelichte mit über 40 eine erst etwa 19jährige. Die hingegen verstarb
lange vor ihm. Vielleicht hatten die Impressionisten einen Dieter Nuhr
bereits vorausgeahnt...

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