Dienstag, 29. November 2016
Kurzgeschichte: "Der Friseur und der Bestattungsunternehmer"
Ihre Läden lagen Seite an Seite, der Friseursalon
von Omar, dem Afghanen, und das Bestattungs-
unternehmen von Tom.
Eines Tages glaubte Tom, einen Haarschnitt nötig
zu haben und kam rüber in Omars Geschäft.
"Gestern war ein ganz komischer Kerl bei mir",
erzählte Tom. "Das könnte dich vielleicht interes-
sieren. Der wollte einen kleinen Sarg, um eine
seiner Haarlocken reinzulegen."
Omar stutzte. "Ein grosser, schlanker Blonder?"
fragte er mit seinem arabischen Akzent.
"Ja, genau."
"Vorher der gewesen bei mir. Nur wollte lassen
schneiden Locke weg."
"Komischer Kerl, das. Es kommt noch besser.
Er wollte, dass ich den Sarg- ich gab ihm einen
kleinen Modellsarg, ein Ausstellungsstück,
Spielzeuggrösse- ,er wollte, dass ich den, mit
der Locke drin, in Geschenkpapier einwickle
und an eine bestimmte Adresse verschicke,
mit einer Beleidskarte dazu, auf der stand:
'Du wolltest meine Liebe nicht, wie diese
Locke sterb' auch ich.' Das ist doch irgend-
wie traurig, so was."
"Du finden?" meinte Omar. "Ich finden ro-
mantisch."
"Du findest so was romantisch?" Tom zeigte
sich sehr überrascht.
"Ich Afghane", meinte Omar. "Ich kommen
Kriegsgebiet. In Herzen immer melancho-
lisch. Melancholie sehr romantisch."
"Wenn du meinst."
Omar holte den kleinen Spiegel für den
Hinterkopf und hielt ihn Tom hin.
"So gut?" fragte er.
"Ja, das gefällt mir", antwortete Tom. "Machen
wir noch die Abrechnung, dann muss ich zu-
rück. Rüber zu meiner eigenen Melancholie."
Sie traten zur Kasse. Tom bezahlte, verab-
schiedete sich, verliess den Salon und kehrte
zurück in seinen Bestatterladen.
'Irgendwie sind wir gar nicht so verschieden.
der Omar und ich', dachte er. 'Er hat auch
schon öfters den Tod gesehen, und ich mache
mein Geschäft damit.'
Währenddessen kehrte Omar die geschnittenen
Haare auf seinem Salonboden zusammen und
dachte über die Melancholie in seinem Leben
nach.
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