Der Kerl, der mich in meinem Büro aufsuchte, war von der Sorte Mensch, die
gemeinhin als "seltsame Gesellen" bezeichnet werden.
"Ich möchte, dass Sie mir meine Freundin zurückbringen", sagte er. Na toll!
Das hatte mir gerade noch gefehlt! Schon wieder ein enttäuschter Liebhaber, der
seinen Schatz sucht! Aber irgendwie muss ich mir ja meine Brötchen verdienen,
und das tue ich als Privatdetektiv. Roman Torso, Ermittlungen aller Art, Büro in
der Berner Gerechtigkeitsgasse. Denn wo sollte in Bern ein Detektiv hausen, wenn
nicht in der Gerechtigkeitsgasse? Wahrscheinlich kommen diese Spinner deshalb
immer zu mir, weil ich in der Gerechtigkeitsgasse bin.
"Fangen wir von vorne an", sagte ich und betrachtete ihn. Gross, schlank, blond,
blaue Augen, lange Nase. "Wie heissen Sie?"
"Hannibal Hodler." Ich notierte mir das. Dann fragte ich nach Adresse und Tele-
fonnummer, und auch das notierte ich mir.
"Gut", sagte ich dann. "Kommen wir zum Geschäft." Ich nannte ihm meinen Preis,
und er war damit einverstanden. "Kommen wir jetzt zum Wichtigsten", sagte ich.
"Warum lief Ihre Freundin weg, und warum wollen Sie, dass ich Sie wieder finde?"
"Sie verschwand einfach, von einem Tag auf den anderen. Diesen Brief hat sie mir
hinterlassen." Er reichte mir einen Wisch aus seiner Hosentasche, auf dem stand:
"Lieber Baldi,
Bitte, such nicht nach mir. Ich musste aus verschiedensten Gründen fort. Es war
oft schön mit Dir, aber gestern hast Du mir sehr weh getan. Du hast mich doch
vorher immer akzeptiert, wie ich bin. Du weisst doch, dass ich meinen Körper
so und nicht anders brauche, um damit Geld zu verdienen. Ich liebe meinen
Körper,und er war schon immer so. Tut mir leid, aber wenn Du ihn nicht mehr
so akzeptieren kannst, wie er ist und immer war, dann kannst Du auch mich
nicht mehr akzeptieren.Und so hat unsere Beziehung keine Chance mehr.
Ich möchte lieber nichts mehr mit Dir zu tun haben. Bitte, versuche, mich zu
verstehen. Tut mir leid. Sorry.
Mach's gut.
Deine Adriana
P.S. Ich habe Dich geliebt."
"Der Brief ist doch klar", sagte ich. "Die Dame will nichts mehr von Ihnen wissen.
Warum wollen Sie sie trotzdem aufsuchen?"
"Um mich mit ihr auszusprechen, sie um Verzeihung zu bitten, vielleicht wieder von
vorne anzufangen."
"Was haben Sie denn bloss über ihren Körper gesagt, dass Sie so reagierte?"
"Ich hab' sie vielleicht etwas zu sehr kritisiert. Sie braucht ihren Körper für ihre
Arbeit."
Ich bekam langsam das Gefühl, dieser Typ hätte sich auf etwas allzu Ernsthaftes
mit einer Nutte eingelassen. "Was arbeitet sie?" fragte ich.
"Sie ist Model." Ein Model, natürlich! Eine dieser Laufsteg-Tussi-Schönheiten!
Und da kritisiert der Kerl ihren Körper!
"Wie heisst sie?" fragte ich.
"Adriana Fruttini."
"Italienischer Abstammung?"
"Genau. Italienisches Fleisch."
Ich glaubte mich im falschen Film. Warum kommen die vulgären Typen immer zu
mir? Hercule Poirot hatte nie solche Klienten! Ich fragte nach ihrer letzten Bleibe,
den Orten, an denen sie sich öfters rumtrieb und nach ihrem Arbeitsplatz. Er gab
mir den Namen einer Modelagentur.
"Können Sie sie beschreiben?"
"Braune Haare, blaue Augen... ich hab' ein Foto dabei." Er gab mir eine Fotografie.
Ich glaubte, meinen Augen nicht zu trauen. "Was für eine Art Model ist denn das?"
"Ein XXL- Model."
"Haben Sie auch eine Aufnahme, auf der sie ganz angezogen ist?"
"Leider nein. Aber sie trägt mit Vorliebe schwarz, wenn Ihnen das weiter hilft."
"Das tut es." Ich steckte das Foto ein. Wenn ich sie nicht finden sollte, würde es
mir vielleicht ein paar schlaflose Stunden verschönern.
Zuerst ging ich zur Modelagentur. Man führte mich in ein Büro, in dem mich eine
magere Rothaarige, die wahrscheinlich älter war, als sie selber zu glauben bereit
war, empfing.
"Herr Torso?" Sie deutete auf den Stuhl vor ihrem Schreibtisch, also setzte ich
mich. "Wie ich höre, suchen Sie ein Model? Nun, wir haben da Einiges zu bieten..."
Sie holte einen Stapel Fotographien von blonden und brünetten Schönheiten in
Bikinis hervor, aber keine davon trug XXL.
"Nein, nein", sagte ich. "Sie verstehen mich falsch. Ich suche ein ganz bestimmtes
Model, das für sie arbeiten sollte. Adriana Fruttini."
"Adriana Fruttini?"
"Adriana Fruttini."
"Da muss ich Sie leider enttäuschen, sie ist nicht mehr bei uns. Der Markt für füllige
Typen ist immer noch eher klein, so dass wir uns gezwungen sahen..."
"Wo ist sie denn jetzt?"
"So viel ich weiss, kam sie bei einer Modelagentur in Solothurn unter. Ich kann
Ihnen die Adresse geben."
Meine Suche führte mich also nach Solothurn, wo sich das gleiche Spiel nochmal
abspielte, nur dass es diesmal ein Mann war, ein älterer Herr mit starrem Blick,
der mich empfing. Aber diesmal war ich an der richtigen Stelle.
"Ja, Frau Fruttini arbeitet für uns", sagte er. "Seine Stimme klang krächzend. "Sie
hat gerade keinen Auftrag für heute. Ich kann Ihnen ihre Adresse geben."
Ich klingelte an einer Wohnungstür in Solothurn, und kurz darauf stand sie vor
mir: Adriana Fruttini! Die Wirkung, die sie auf mich hatte- live, in voller
Lebensgrösse- überstieg bei Weitem die Wirkung, die ihr Bild schon zeigte.
Sie trug ein schwarzes T-Shirt und schwarze Hosen, und das T-Shirt lag
ziemlich eng an. Ihr Körper war kolossal! Sie hatte fantastisch kräftige Arme
und, so fest sie auch war, nichts an ihr schien allzusehr zu schwabbeln.
Ich war ziemlich nervös, als ich mich auswies.
"Ich arbeite im Auftrag von Hannibal", sagte ich.
"Hannibal?" schluckte sie. Sie schien erschrocken zu sein. "Was will er denn
noch?" Es ist aus!"
"Reden, um Verzeihung bitten, vielleicht wieder von vorn anfangen, Alles
besser machen, all das übliche Zeug eben..."
"Das könnte ihm so passen!" schrie sie. "Er hat mich mehr als einmal verletzt!
Mit dem Messer war er sogar schon hinter mir her, verstehen Sie? Der Mann
ist gefährlich!"
"Was soll ich ihm sagen?" fragte ich.
"Sagen Sie ihm, ich sei verheiratet."
"Sind Sie das denn?"
"Nein, aber sagen Sie's ihm." Sie blickte auf meine Hose. "Sie gefallen mir,
Roman", sagte sie lächelnd und dann kam sie näher, ganz nah. "Möchten Sie
mal wissen, wie es sich anfühlt, eine dicke Frau im Arm zu halten?"
"Sie sind ein gefährliches Pfundsmädel", sagte ich. Am Tag darauf sollte ich
meinem Klienten ein Märchen auftischen, aber diese Nacht genoss ich, wie
ich schon lange keine Nacht mehr genossen hatte...
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