"Du hast was?" Frau Mausers Stimme überschlug sich
beinahe. "Du hast AIDS?"
"Ich habe nicht AIDS", erwiderte Elsa. "Ich trage nur
den Virus in mir. Die Krankheit ist noch nicht ausge-
brochen."
"Wie konntest du uns das nur antun?" fragte Frau Mau-
ser und brach in Tränen aus.
Pünktlich um neun Uhr morgens klingelte es an der
Tür. Elsa öffnete und sah sich dem Fahrer der Klinik
gegenüber, einem grossen Mann mit ergrautem Haar
und einem freundlichen Gesicht.
"Können wir?" fragte er.
Als sie ankamen, wartete Dr. Leidenberg bereits vor
den Toren der Klinik. Sie stiegen aus, und er kam
ihnen sogleich entgegen.
"Ah, Frau von Tavel! Willkommen! Ich zeige Ihnen
Ihre Abteilung."
Er führte sie zu einem Trakt der Klinik, der etwas
versteckt lag. Schliesslich öffnete er eine Tür.
"Ihr Zimmer!"
Auf einem der zwei Betten, die sich im Zimmer be-
fanden, sass eine magere, rothaarige Frau, die sie
mit ausdruckslosen Augen anschaute.
"Das ist Frau Meiring, Ihre Zimmergenossin", er-
klärte Dr. Leidenberg. "Sie werden sicher gut zu-
sammen auskommen."
Er liess die zwei Frauen allein.
"Ich bin Irina", sagte die Rothaarige. Ihre Stimme
klang rauh.
"Ich bin Elsa."
"Was war's bei dir?"
"Kokain."
"Wo hast du's hergehabt?"
"Von einer Nutte."
"Ich kam durch meinen Freund zum Heroin. Als er
daran starb, beschloss ich, den Entzug zu machen."
"Wie lange bist du schon hier?"
"Zwei Monate. Ich bin im Methadon-Programm."
"Ich hab HIV."
"Ich auch, durch ihn. Und du?"
"Hab' rumgehurt."
"Hab' ich früher auch mal. Angeschafft, um Drogen
zu kaufen. Könnt' ich heute nicht mehr." Sie blickte
auf ihren verlebten Körper. "Heute würde mich
keiner mehr wollen..."
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