Als Elsa an diesem Abend kam, wartete Charlie
bereits auf sie, obschon sie selber zehn Minuten
zu früh war.
"Du bist schon da?" fragte sie ihn.
"Man darf doch eine schöne Frau nicht warten las-
sen", sagte er und lächelte sie an.
"Du bist ja ein ganz Charmanter", machte sie und
küsste ihn und begann, ihn zu streicheln.
"Wollen wir nicht zu mir gehen?" fragte er, als er
erregt war.
"Lass es uns gleich hier draussen machen", bat sie.
"Dort drüben, im Gebüsch."
Es war ein warmer Sommerabend, also hatte
Charlie nichts dagegen. 'Das ist besser als im
Bett', dachte er, während sie es trieben.
Wie jeden Abend machte ein Wachmann mit sei-
nem Hund eine Runde über den Campus. Die
Leitung der Universität hatte einen angefordert,
um der Drogen- und Dealerszene, die sich auf
diesem Boden breitzumachen begann, Herr zu
werden. Seit einigen Jahren gab es nun keine
Probleme mehr, doch der Wachmann drehte
weiterhin seine Runde. Auf einmal blieb der
Hund vor einem Gebüsch stehen. Er deutete
seinem Herrn an, dass dort jemand oder etwas
sei, durch eine Bewegung, eine für einen Ver-
brecher kaum wahrnehmbare Reaktion. Kein
Knurren, kein Bellen. Der Wachmann legte ein
paar Aeste zur Seite und leuchtete mit seiner
Taschenlampe ins Gebüsch. Er schreckte Char-
lie und Elsa auf, die gerade mitten in ihrem
Liebesspiel waren.
"Also, so ist das", knurrte der Wachmann. "Na,
soll die Unileitung entscheiden, was mit euch
geschehen soll. Aber ich muss auf alle Fälle
Meldung machen. Eure Namen, bitte!"
"Tut mir leid, dass das passieren musste", sagte
Charlie, als sie, nun wieder angezogen, den
Campus verliessen.
"Was soll's?" machte Elsa. Dann blickte sie auf
ihre Uhr. "Du, ich muss leider gehen. Es war
schön mit dir heute."
"Was arbeitest du eigentlich?" fragte er.
Sie gab ihm einen Kuss anstelle einer Antwort.
"Du bist süss", sagte sie, dann liess sie ihn allein.
Der Besitzer des Tanzschuppens kam in die Gar-
derobe. Fünf Frauen waren dort und machten
sich zurecht. Zwei waren Ausländerinnen, dem
Akzent nach irgendwo aus dem Ostblock. Eine
davon schien gerade erst 16 zu sein, vielleicht
nicht einmal. Sie schminkten sich und zogen
aufreizende Dessous an.
"Dein Auftritt, Mariana", sagte der Besitzer zu
dem jungen Mädchen. Dieses ging aus dem
Zimmer, Richtung Bühne.
"Was geschieht jetzt mit ihr?" fragte Elsa die
andere Ausländerin, die neben ihr sass. Sie war
gross, hatte langes, dunkles und lockiges Haar
und auffallend grosse Brüste.
"Sie jetzt tanzen", sagte die Frau in ausdrucks-
losem Tonfall. "Dabei ausziehen. Vielleicht
Mann in Publikum, dem sie gefallen. Dann er
kommen, gehen in Zimmer mit ihr, geben Geld
für Sex."
"Aber das ist Prostitution einer Minderjährigen!"
protestierte Elsa.
"Sie Geld brauchen", erklärte die Frau. Dann
nahm sie eine kleine Plastiktüte mit einem weis-
sen Pulver darin aus ihrer Handtasche. Sie nahm
etwas davon auf den Handrücken und zog es
durch die Nase hinauf.
"Du auch?" fragte sie Elsa und reichte ihr die
Tüte.
"Nein, danke." Elsa wehrte ab.
"Ist gut", meinte die andere Frau. "Alle hier
nehmen. Hilft."
"Na gut, wenn's hilft..." Elsa reichte der Anderen
ihren Handrücken. Diese tat, wie sie es vorher
mitangesehen hatte. Für einen Augenblick glaub-
te sie, Sterne zu sehen, dann Blumen, dann Pe-
gasus, das geflügelte Pferd aus der griechischen
Mythologie. Sie glaubte, auf Pegasus zu reiten,
über den Sternenhimmel. Dann war der Traum
zu Ende, und sie fühlte sich elender als je zuvor.
Das Gesicht der anderen Frau kam ihr noch ver-
lebter vor, als es eh schon war.
"Wie du heissen?" fragte die Frau.
"Elsa."
"Ich Tatjana." Sie gab Elsa die Hand. "Ich Freund."
Die Tür ging auf, und der Besitzer kam wieder
herein. "Elsa, du bist dran!"
"Ach je, was soll ich denn nun tun?" fragte Elsa
Tatjana.
"Nur gehen", antwortete diese. "Tanzen, auszie-
hen. Improvisieren. Kommt von selber."
Elsa folgte ihrem Chef zur Bühne. "Wo ist Ma-
riana?" fragte sie.
"Hat zu tun", antwortete der Chef kurz angebun-
den.
Elsa trat auf die Bühne. Sie begann, zum Takt der
Musik zu tanzen. Sie entledigte sich nach und
nach ihrer Kleidungsstücke. Sie hörte Rufe aus
dem Publikum, Pfiffe, rauhe Männerstimmen.
"Zeig uns alles, Baby!"
"Du machst mich an!"
"Runter mit dir! Du bist zu fett! Ich will was
Schlankeres!"
"Hör nicht auf den Schweinehund! Diese mage-
ren Puppen sind hässlich neben dir!"
Elsa begann, sich in Pose zu werfen. Instinktiv
wusste sie, welche Bewegungen sie machen
musste, um die Männer anzutörnen. Sie trat
von der Bühne runter, begab sich tanzend ins
Publikum, streichelte dem einen oder anderen
Mann das Kinn und liess ihre prallen Brüste
vor ihnen baumeln. Dann erklang ein Gong.
"Auftritt zu Ende!" hörte sie die Stimme ihres
Chefs. "Stell dich an die Bar!"
Sie tat dies. Es dauerte nicht lange, da trat
ein Mann auf sie zu. Ein alter, hagerer Mann,
der kaum noch Zähne im Mund hatte.
"Wie viel kostet's bei dir?" fragte er mit brü-
chiger Stimme.
"Wie viel ist denn der Tarif?" fragte Elsa zu-
rück.
Der Alte verfiel in ein krächzendes Lachen.
"Wie viel ist der Tarif? Hahahaha! Der war
gut!" Dann beruhigte er sich wieder und sag-
te mit verschwörerischer Stimme: "Hör zu:
Ich geb' dir n' Hunderter. Okay? Du bist es
wert."
Dann gingen sie zusammen in ein Eckzim-
mer.
"Wie lange?" fragte Elsa.
"Bis es mir kommt natürlich", krächzte der
Alte und begann wieder mit seinem erschüt-
ternden Gelächter.
Als Elsa wieder auf dem Weg zurück zur Gar-
derobe war, wurde sie von ihrem Chef aufge-
halten.
"Du schuldest mir 50", sagte er.
"Was? Wieso?"
"Der alte Scheisser hat dir 100 gegeben. Die
Hälfte davon gehört mir."
"Aber das ist Erpressung! Das Geld hab' ich
mir hart verdient!"
Er verabreichte ihr eine Ohrfeige. "Hör zu,
Süsse", sagte er, und seine Stimme klang
rauher als je zuvor, "du musst noch lernen,
wie das bei uns so läuft. Aber wenn du kei-
nen Aerger willst, dann hältst du dich bes-
ser an die Regeln! Verstanden?"
Elsa weinte. Noch nie hatte ihr ein Mann
eine Ohrfeige verpasst.
"J-ja", flennte sie.
"Na also. Und nun gib mir die 50."
Sie gab ihm das Geld.
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