Dienstag, 19. Februar 2019

Kurzgeschichte: Ein Schimmer Hoffnung

Abandoned by Winter by Leonid Afremov by Leonidafremov
(Bild von Leonid Afremov)

Als Martin zum Kurzparking des Bahnhofs kam,
stand dort sein alter Kumpel Willi.
"Hey, Willi", rief ihm Martin zu.
"Hey, Marty", grüsste Werner zurück.
"Was machst du denn hier?" fragte Martin.
"Ich mischle mir was zusammen, um essen zu kau-
fen", antwortete Willi und zeigte das Kleingeld,  das
er in der Hand hielt. Es war nicht viel, ein paar  Münzen,
die zusammen nicht mal ganz einen Franken ausmachten.
"Ich kann dir leider nicht helfen", meinte Martin mit echtem
Bedauern, "ich bin selbst pleite."
"Ist doch völlig in Ordnung", meinte Willi und trat an eine
Dame heran, die am Automaten ihr Parkticket auslöste.
Er hatte Glück, sie gab ihm ihr Wechselgeld.
"So langsam sieht's ein bisschen besser aus", meinte er.
"Für 'n Burger würd's schon mal reichen", meinte Mar-
tin.
"Ich will keinen Burger", erwiderte Willi, "ich will was
Richtiges."
"Kann ich irgendwie auch verstehen. Und, was machst
du sonst so?"
"Es geht wieder aufwärts. Ich bin nicht mehr auf der
Strasse. Habe ein Zimmer, aber für's Essen muss ich
selber schauen."
"Immerhin schon mal wieder ein Dach über'm Kopf."
"Genau. Und von den Drogen bin ich auch endlich
weg. Hab' ich nichts mehr zu tun mit."
"Das ist doch gut."
Willi lächelte. "Und meine Zähne lasse ich mir auch
machen", sagte er. Er hatte vorne im Oberkiefer nur
noch zwei Zähne, und die waren alles andere als weiss.
Der lange Drogenkonsum hatte seine Spuren hinterlas-
sen. "Ich hätte arbeiten können", erzählte er weiter,
"aber der Personalchef meinte, er könne mich nur ein-
stellen, wenn ich die Zähne machen lasse. Handwerker,
verstehst du? Ich hätte zu Kunden gehen und die Firma
repräsentieren müssen."
"Dass das bei Handwerkern so wichtig ist", machte Mar-
tin. "Ich hätte gedacht, da würde das handwerkliche Kön-
nen mehr zählen. Bei 'ner Verkaufsstelle hätt' ich das eher
begriffen."
"Tja, ist aber nun mal so. Aber immerhin ein Schimmer
Hoffnung."
"Ich könnte das nicht, so wie du, mich hinstellen und wild-
fremde Leute um Geld fragen", meinte Martin.
"Es braucht Ueberwindung", meinte Willi. "Aber es ist im-
mer noch besser als irgend 'nen Blödsinn zu drehen. Zu
dealen. Oder jemanden auszunehmen. Manchmal werd'
ich zwar recht böse angeschnauzt: 'Kannst du nicht arbei-
ten gehen?' Da hab' ich geantwortet: 'Hast du mir denn
'nen Job?' Da war er ganz schnell ruhig."
Beide lachten. Willi war aber noch gar nicht fertig mit
Erzählen, er legte noch einen drauf:
"Gestern wollte mir auch einer blöd kommen. Da stand ich
vor ihn hin und sagte mit fester Stimme: 'Weisst du was?
Ich könnte dich auch ausnehmen. Ueberleg' dir das mal.
Da ist es doch besser so, das ist wenigstens ehrlich.'
Der wurde ganz still, meinte dann: 'Das stimmt eigentlich',
und- weisst du was? Der gab mir dann 'nen Fünfziger-
Schein! Stell dir das mal vor!"
Da erblickte Willi einen Mann, den er kannte, einen
bulligen Mann mit einem Dreitagebart.
"Hey, Serge!" rief er ihm zu.
Der Mann namens Serge kam auf sie zu.
"Was machst du hier?" fragte er mit kehliger Stimme.
"Geld auftreiben", antwortete Willi, "für was zu essen und
'n kleines Bier."
"Bier hätt' ich dabei", meinte Serge.
"Na, dann lass uns doch an die Sonne sitzen", meinte Willi.
Martin, der sich nichts aus Bier machte und ausserdem noch
weiter musste, verabschiedete sich.
"Pass auf dich auf", sagten sich die zwei alten Kumpels zum
Abschied und jeder ging wieder seinen eigenen Weg, jeder
mit seinem eigenen Schimmer Hoffnung für die Zukunft.






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