Mittwoch, 29. Januar 2020
Kurzgeschichte: "Alle meine Entchen"
Ulrich Muralt und Regula Munz waren mir beide
schon von einem früheren Fall bekannt, als sie
da gemeinsam bei mir im Büro sassen. Er war
ein zierlich gebauter, blonder Mann mit einem
dünnen Schnurrbart, sie war nicht viel grösser,
aber einige Jahre älter, ihr Haar war bereits er-
graut. Ich kam immer besser mit ihm klar, sie
galt allgemein als eher schwierig, und das konnte
ich durchaus bestätigen. Sie waren im Bereich Um-
weltschutz tätig, nämlich für den Uferschutz am
Moossee, einem kleineren See in der Region.
Ich mochte den Moossee schon immer, ging auch
gerne dort schwimmen, das Strandbad lag inmit-
ten eines Naturschutzgebietes, und da kam es
schon mal vor, dass beim Schwimmen plötzlich
ein Haubentaucher neben einem auftauchen konn-
te.
"Wir haben ein Problem mit Wilderei", begann
Munz. "Nicht nur, dass die Entenjagdsaison noch
gar nicht begonnen hat, die Kerle schiessen nebst
Stockenten sogar Blässhühner..."
"Von denen hat es am Moossee doch genügend",
meinte ich.
"Darum geht es nicht", erwiderte Munz. "Bläss-
hühner unterstehen bestimmten Schutzbedingun-
gen, man darf sie nicht schiessen."
"Wir haben sogar Anhaltspunkte", warf Muralt ein,
"dass sogar Graureiher schon geschossen wurden."
"Und die sind ganz klar geschützt, das weiss sogar
ich", sagte ich.
"Leider können wir nicht rund um die Uhr vor Ort
sein", sprach Munz, "da wir beide noch andere Ver-
pflichtungen haben. Wir bräuchten jemanden, der
während unserer Abwesenheit aufpassen könnte."
"Haben Sie einen Verdacht?" fragte ich. "Oder eine
Idee, wer etwas wissen könnte?"
"Es gab Beschwerden von Anwohnern wegen Schuss-
lärm", sagte Muralt. "Sowohl von Bad- als auch von
Zeltplatzseite, also vom gegenüberliegenden Ufer. Und
vielleicht hat von den Stammgästen im Strandbad jemand
etwas mitbekommen. Oder von den Angestellten. Oder
von den Fischern."
"Dann werde ich mich dort mal etwas umhören", mein-
te ich, "und nachts dann auf... wie nennt man das? Auf
Patrouille gehen."
Wenn ich schon am Moossee ermittelte, konnte ich das
Angenehme doch gleich mit dem Nützlichen verbinden
und eine Runde schwimmen gehen. Als ich zurück zum
Ufer schwamm, stand dort, mit grimmiger Miene und
verschränkten Armen, der Bademeister. Von früheren
Begegnungen her wusste ich, dass sein Humor genauso
seltsam sein konnte wie meiner.
"Wenn man Ihren Blick so sieht", meinte ich scherzhaft
zu ihm, "kriegt man ja direkt Angst."
"Das ist Absicht", meinte er. "Die Leute schwätzen sonst
viel zu viel beim Schwimmen."
Als ich lachte, meinte er dann: "Schade, dass viele den
Witz bei so was nicht bemerken. Einige halten mich für
einen alten Griesgram."
"Ach, was!" meinte ich.
"Ist schon erstaunlich, wie sehr man sich an seine Umge-
bung anpasst", scherzte er weiter.
"Sagen Sie mal", fragte ich, "wer sind denn hier zur Zeit
so die Stammgäste? Ich würde gerne mit einigen von de-
nen reden."
"Wegen dem alten Griesgram?"
"Nein, wegen der Wilderei. Vielleicht hat jemand ja etwas
mitgekriegt."
"Sind Sie von der Polizei?"
"Privatdetektiv. Mein Name ist Torso. Roman Torso. Ich
arbeite zur Zeit für den Uferschutz."
Er kratzte sich am Kinn. "Privatdetektiv, soso", murmelte
er.
"Mein Ausweis ist in meiner Kleidung, falls Sie den noch
sehen wollen."
"Reden Sie nur ruhig mit den Leuten", meinte er. "Aber ich
will keine Klagen hören, sonst..."
"Sonst...?"
"Sonst werde ich zum alten Griesgram."
Tatsächlich gab es mehrere Stammgäste, mit denen ich ins Ge-
spräch kam. Da war ein älteres Ehepaar, ein ergrauter Herr
mit Strohhut, der auf einer Sonnenliege lag und ein Buch von
Mankell las, ein weisshaariger Mann mit einem Schnauzbart,
der an Yosemite Sam erinnerte und eine Gruppe von Leuten,
die am Musizieren waren. Und der Typ, der mit allen ins Ge-
spräch kam, den alle irgendwie mochten, weil er als Original
galt. Hier übernahm ein dickbäuchiger, älterer Herr diese Rolle.
Er trat gerade dazu, als ich mit dem Herrn mit dem Strohhut
sprach und fragte diesen: "Bleibt es bei morgen abend?"
"Aber ja", meinte dieser. "Die Einladung gilt nach wie vor. Ich
kann etwas ganz exquisites kredenzen."
"Ich freue mich schon", meinte der Dicke.
"So erlesenes Geflügel wie bei Werner gibt es nirgendwo", mein-
te eine ältere Dame, die im Liegestuhl neben dem Strohhut sass.
In diesem Moment trat der Bademeister auf mich zu und meinte:
"Der Typ, der gerade reinkam, da drüben, mit den kurzen Haaren,
der könnte etwas mitgekriegt haben. Der kommt öfters mal nachts
vorbei, um zu schwimmen."
Ich bedankte mich, verabschiedete mich von den Herrschaften
und sprach den Typen mit den kurzen Haaren an.
"Hin und wieder hört man so was wie Schüsse", meinte der,
"aber ich habe mir bisher nicht viel dabei gedacht."
"Sagen Sie", fragte ich, "wie ist es denn so, hier bei Nacht zu
schwimmen?"
"Es gibt nichts Schöneres", meinte er. "Aber man kann nicht zu
lange. Zwischen elf und zwölf werden die Tore zum Strandbad
geschlossen."
"Vom Bademeister?"
"Nein, der macht um Sieben Feierabend. Es kommt ein Wach-
mann vorbei."
"Sagen Sie, würde es Ihnen was ausmachen, wenn ich heute
nacht mit raus schwimme?"
"Keineswegs. Ich freue mich, wenn ich mal etwas Gesellschaft
habe." Er reichte mir die Hand. "Aber unter Schwimmern sagen
wir uns doch lieber Du. Ich heisse Hermann."
"Und ich Roman."
"Also dann, Roman- ich würde sagen: Um neun Uhr. Ist das
okay?"
"Das ist perfekt", meinte ich.
Pünktlich um neun Uhr war ich- nachdem ich eine Runde auf
"Patrouille" war- wieder im Strandbad, um gemeinsam mit
Hermann eine Runde zu schwimmen. Ausserdem glaubte
ich, vom See aus etwas entdecken zu können, was mir vom
Ufer aus verborgen geblieben wäre. Man merkte Hermann
den geübten Schwimmer an, er war um einiges schneller im
Wasser als ich. Als wir etwa auf der Höhe des Sprungturms
waren, hörten wir tatsächlich einen Knall.
"Oh, Scheisse!" schrie Hermann. "Ich blute am Arm! Ich kann
meinen Arm kaum bewegen..."
Leider hatte ich nie Rettungsschwimmen geübt, aber irgendwie
gelang es mir, Hermann unter die Arme zu greifen und ihn
ans Ufer zu kriegen, bevor die Hechte auf seine Blutspur auf-
merksam zu wurden. Vorsichtig half ich ihm, sich auf eine
Bank zu setzen, dann holte ich mein Natel aus der Hosenta-
sche und stellte die Notfrufnummer ein.
"Der Notarzt ist in einer Viertelstunde da", gab ich Hermann
Bescheid. "Hältst du's so lange aus?"
"Klar", meinte er und versuchte zu lächeln. "Ich bin hart im
Nehmen. Alter Schwimmer eben."
"Dann entschuldige mich kurz. Ich bin gleich zurück", sagte
ich und machte mich in die Richtung auf, aus welcher die
Schüsse gekommen waren. Ich fand eine Stelle, von der
aus der Schütze wohl angelegt hatte, das Gras war auch
niedergetrampelt, es war also jemand dort gewesen, aber
inzwischen natürlich längst wieder weg. Aber ich konnte
sehen, in welche Richtung seine Spuren im Gras führten.
Als ich zurück zum Strandbad kam, waren Ambulanz und
Polizei bereits da. Hermann wurde verarztet und sicher-
heitshalber ins Krankenhaus gebracht, wo er wohl die
restliche Nacht verbringen würde. Die Polizisten, ein
grosser, langer namens Kurz und ein kleiner, dicker na-
mens Grossenbacher- welche Ironie!- nahmen meine Per-
sonalien auf und gingen das Geschehen mit mir durch.
"Privatdetektiv, soso", brummte Grossenbacher, als er
mir meinen Ausweis zurück gab. Er schien der Dienst-
ältere und Ranghöhere zu sein.
"Genau", sagte ich. "Und um ehrlich zu sein: Ich arbeite
hier an einem Fall."
"Könnte es dann sein", warf Lang ein, "dass dies ein An-
schlag war und eigentlich Ihnen galt?"
"Ich glaube nicht. Es geht um Wilderei..." Ich erzählte den
Polizisten die ganze Geschichte, inklusive meiner Ent-
deckung der Fussspuren im Gras. Wie erwartet, wollten
sie diese natürlich auch sehen. Also führte ich sie hin.
"Die Spuren führen in Richtung Münchenbuchsee",
meinte Grossenbacher.
"Chef!" rief Lang, der einen Blick ins Röhricht gewor-
fen hatte. Wir eilten zu ihm. Da, inmitten von Schilf
und Rohrkolben, lag ein totes Blässhuhn. Selbst im
Licht der Taschenlampe erkannten wir sofort, dass es
durch einen Schuss den Tod gefunden hatte. Der Tä-
ter hatte seine Beute zurückgelassen.
"Lang, packen Sie den Vogel ein", sagte Grossenba-
cher. "Der ist ein Beweisstück."
Lang holte eine Tasche hervor und steckte das Bläss-
huhn hinein.
"Und nun folgen wir den Spuren", gebot Grossenba-
cher. "Herr Torso, Sie warten hier. Das ist Polizei-
arbeit."
"Nichts da!" erwiderte ich. "Ich wurde von offizieller
Stelle mit dieser Angelegenheit betraut, also komme
ich auch mit."
"Also gut." Grossenbacher seufzte. "Aber lassen Sie
uns die Arbeit machen."
Die Spuren führten zu einem herrschaftlichen Anwesen
auf halber Strecke um das Seeufer herum. Grossen-
bacher klingelte. Laut dem Schild an der Klingel
wohnte hier ein gewisser "W. Bachmann".
"Herr Bachmann!" rief Grossenbacher. "Aufmachen!
Polizei!"
Die Türe öffnete sich, und vor uns stand Werner, der
Typ mit dem Strohhut, nur dass er diesen diesmal nicht
auf dem Kopf hatte. Ohne sah er nicht unbedingt schö-
ner aus, eher im Gegenteil.
"Kann ich Ihnen helfen?" fragte er.
"Herr Bachmann, haben Sie ein Gewehr?" fragte Gros-
senbacher streng.
"Mein Sturmgewehr aus dem Militär", antwortete Bach-
mann. "Warum?"
"Erklären wir Ihnen gleich", sagte Grossenbacher. "Dür-
fen wir rein kommen und uns Ihr Gewehr anschauen?"
"Haben Sie einen Durchsuchungsbeschluss?" fragte
Bachmann.
"Den brauchen wir in diesem Fall nicht", meinte Gros-
senbacher und drängte sich hinein. "Wo ist das Ge-
wehr?"
"Da drüben." Die Waffe lehnte an der Wand. Lang ging
hin und nahm sie sich vor. Er berührte sie und meinte:
"Wurde kürzlich benutzt. Ist noch warm."
Inzwischen hatte ich mich leise etwas abgesetzt und die
Küche gefunden. Ich hatte schon seit den Gesprächen
im Strandbad einen leisen Verdacht, und der wurde
stärker, als ich eine grosse Kühltruhe fand. Ich öffnete
sie, und was fand ich? Ich entnahm der Truhe etwas
und ging damit zurück zu den beiden Polizisten.
"Also, das ist Ihr exquisites Geflügel!" rief ich, in der
einen Hand eine Stockente, in der anderen ein Bläss-
huhn.
"Das ist nicht zulässig!" schrie Bachmann. "Sie sind
kein Polizist!"
"Was zulässsig ist und was nicht", brummte Grossen-
bacher, "das soll der Richter entscheiden. Sie sind
jedenfalls erst mal festgenommen."
"Eine Frage noch", warf ich ein, als Lang Bachmann
die Handfesseln anlegte. "Ihre Gäste- wussten die,
wo die Vögel herkamen?"
"Nein", antwortete Bachmann. "Sie glaubten, ich
hätte das Fleisch von exquisiten Geflügelzüchtern
aus dem Ausland."
"Na dann", meinte ich. "Abführen!"
Grossenbacher blickte mich streng an.
Ich grinste und meinte nur: "Das wollte ich schon immer
einmal sagen." Und zu Bachmann meinte ich noch:
"Und Sie sollten Ihre kulinarischen Ansprüche etwas
runterschrauben. Ich glaube nämlich nicht, dass Enten-
braten auf dem Gefängnisspeiseplan steht."
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen