Dienstag, 3. März 2020

Kurzgeschichte: "Lieb Vaterland"

Marion Marstein hatte sich für ihren Besuch bei mir
herausgeputzt, ihre Lippen waren ein bisschen zu
rot, um als natürliche Färbung durchzugehen.
Aber es waren sehr sinnliche Lippen, wie die Frau
überhaupt sehr sinnlich war mit ihrem runden Ge-
sicht, dem langen rotbraunen Haar, den blauen
Augen und der fülligen Figur, die in einem blauen
Kleid steckte, das gerade genug Ausschnitt zeigte,
um zu wissen, dass sie eine ganze Menge zu bie-
ten hatte.
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"Sie sind also Roman Torso, der Sherlock Holmes
von Bern?" fragte sie mich.
"Ein bisschen viel des Lobes", meinte ich. "Was
kann ich für Sie tun, Frau Marstein?"
"Ich suche meinen Vater."
"Wurden Sie als Kind weggegeben?"
"Nein, ich kenne meine Eltern. Meine Mutter ver-
starb vor drei Jahren. Mein Vater zog daraufhin
nach England. Gestern hätte er zurückkommen
sollen. Aber er kam nicht. Sein Platz im Flugzeug
war leer geblieben."
Ich wurde hellhörig. "Er hatte also ein Flugticket?"
fragte ich.
"Ja", antwortete sie. "Und in London wurde das auch
abgeholt. Aber er war nicht im Flugzeug."
"War das London Heathrow?"
"Der Flughafen, genau."
"Und wo sollte er ankommen?"
"Bern-Belp. Um 14 Uhr 35. Ich wollte ihn dort abholen."
Ich notierte mir die Uhrzeit.
"Und Sie haben sich erkundigt, ob das Ticket abgeholt
wurde?" fragte ich.
"Natürlich", antwortete sie.
"Nun, wenn er nicht im Flieger war", dachte ich laut nach,
"dann ist er vielleicht noch in London."
"Könnten Sie nicht nach London fliegen, um das heraus
zu finden?"
"Ich fliege nicht. Aber ich setze mich mit den Behörden
in England in Verbindung, ebenso mit der hiesigen Polizei.
Haben Sie ein Bild Ihres Vaters dabei?"
Sie kramte in ihrer Handtasche, dann reichte sie mir eine
Fotographie. "Das wurde vor drei Jahren aufgenommen",
sagte sie. "Sein Haar ist inzwischen etwas grauer, aber sonst
sieht er noch immer genau so aus."
Das Bild zeigte einen elegant gekleideten Herrn in Anzug
und Krawatte. Ich notierte mir die Angaben, die sie mir zur
Person ihres Vaters geben konnte. Dr. Arthur Marstein, 62
Jahre alt, Kernphysiker, etwa 1,80m gross und schlank,
graues, ursprünglich braunes Haar und blaue Augen.
Meine Klientin, Marion Marstein, war etwa 27 Jahre alt,
etwa 1,67 gross und alles andere als schlank. Wahrschein-
lich kam sie eher nach der Mutter.
"Also gut", meinte ich, als ich das Bild einsteckte. "Ich will
mal sehen, was ich tun kann."

Meine Suche führte mich zuerst mal nach Belp zum Flughafen.
"Sie sind schon die dritte Person, die nach diesem Herrn Mar-
stein fragt", erzählte mir die Schalterbeamtin.
"Die dritte Person?" fragte ich. "Wer waren denn die beiden
Anderen?"
"Gestern eine dicke, junge Frau..."
"Die Tochter..."
"...und heute ein kurioser Herr. Der sitzt dort drüben."
Sie deutete auf einen Zeitungsleser, der sich auf einer Bank
in der Halle aufhielt. Ich bedankte und verabschiedete mich
bei der Beamtin und trat zu dem Zeitungsleser hin.
"Entschuldigen Sie, bitte", sprach ich ihn.
Er legte die Zeitung weg und zeigte endlich sein Gesicht.
"Guten Tag, Herr Torso", begrüsste mich Johannes Scheck
vom Geheimdienst.

Scheck lud mich zu einem Kaffee ein, eine Einladung, die ich
zwar annahm, bestellte mir aber statt Kaffee eine Cola.
"Dr. Marstein ist einer der weltweit führenden Kernphysiker",
erläuterte er mir. "Er war massgeblich an der Entwicklung
des Teilchenbeschleunigers im CERN in Genf beteiligt. Und
er kennt viele Staatsgeheimnisse, da er des Oefteren für die
Regierung gearbeitet hat. Seit er nach England zog, steht er
unter Beobachtung."
"Verdacht auf Landesverrat?"
"Landesverrat, Spionage... allein die Möglichkeit, dass er seine
Informationen verkaufen könnte, bereitet uns Kopfzerbrechen."
"Ist er noch in England?"
"Unsere Kontakte sahen ihn am Flughafen, kurz vor Abflug der
Maschine. Aber wir wissen nicht, ob er eingestiegen ist."
"Gibt es noch andere Möglichkeiten, von England in die Schweiz
zu kommen?"
"Na ja, es gibt die Fähre über den Aermelkanal. Aber das geht
länger. Da müsste er in Frankreich ein weiteres Verkehrsmittel
benutzen."
"Es könnte also sein, dass er doch schon in der Schweiz ist",
dachte ich laut nach. "Gebraucht er gelegentlich Pseudonyme?"
"Wir haben eine Liste von Namen, die er gelegentlich verwen-
det, wenn er unerkannt verreisen will", antwortete Scheck und
holte einen Laptop aus seiner Aktentasche. Er liess ihn hoch-
fahren und rief eine Liste auf. Ich schrieb mir die Namen auf.
"Vielleicht reiste er unter einem dieser Namen", meinte ich.
"Erkundigen wir uns mal", brummte Scheck, schnappte sich
meinen Zettel und erhob sich. Ich tat es ihm gleich und folgte
ihm zum Schalter. Dort reichte er die Liste der Schalterbeam-
tin.
"Könnten Sie mal nachschauen, ob unter diesem Namen ein
Flug gebucht wurde? Gestern oder heute?" fragte er.
"Wieso sollte ich das tun?" fragte sie kühl.
Scheck zeigte ihr seine Dienstmarke. "Nationale Sicherheit",
brummte er.
"Oh", machte sie und schaute auf ihrer Reservierungsliste
nach. "Doch, da ist etwas. Auf den Namen Adalbert Morris,
gestern, allerdings über Genf-Cointrin, um 14 Uhr 03."
"Vielen Dank", sagte Scheck und griff zu seinem Mobilte-
lefon. "Dann verständigen wir unseren Mann in Genf. Viel-
leicht ist er noch dort."
"Vielleicht ist er sogar im CERN", meinte ich.
"Lassen wir überprüfen", erwiderte er.
"Da wird sich seine Tochter freuen", sagte ich.
"Tochter?" fragte Scheck. "Dr. Marstein hat keine Tochter.
Der Mann ist impotent."
"Wer ist dieses Mädchen dann? Füllig, rotbraune Haare,
blaue Augen..."
"Setzen wir uns nochmal hin", meinte Scheck.
Wir setzten uns und tranken noch einen Kaffee und eine Cola.
Scheck rief eine weitere Datei auf seinem Laptop auf und
zeigte mir ein Bild meiner Klientin.
"Ist das die Frau?" fragte er.
"Das ist sie, ja."
"Wie nannte Sie sich?"
"Marion. Marion Marstein."
"Das passt. Das ist Kalinka Kaa, eine Spezialistin für Betriebs-
spionage. Sie arbeitet auf eigene Rechnung, verkauft nur an
den Meistbietenden und gebraucht immer nur Alliterationen,
wenn sie Pseudonyme verwendet."
"Und wieso wandte sie sich ausgerechnet an mich?"
"Sie war wohl hinter Dr. Marstein her, doch der schien Lunte
gerochen zu haben und hatte sie in die Irre geführt."
In diesem Moment klingelte sein Natel. Er hob ab, sprach ein
paar Worte und hängte wieder auf.
"Das war unser Mann in Genf", erklärte er. "Dr. Marstein ist
sicher im CERN angekommen, Jetzt geht es darum, Frau
Kaa zu erwischen."
"Ich weiss, wo sie sein könnte", meinte ich und holte mein
Notizbuch hervor, in dem ich alle Daten meiner Klientschaft
notiere, natürlich auch die Adresse, die Frau Marstein oder
Kaa mir angegeben hatte.

Die Adresse gehörte zu einem leerstehenden Lagerhaus in der
Effingerstrasse. Wir beschlossen, dass ich zuerst mein Glück
versuchen sollte. Ich klopfte an.
"Frau Marstein?" rief ich. "Hier Torso! Ich glaube, ich habe
etwas gefunden!"
Sie öffnete die Tür. "Herr Torso...", begann sie, dann zeigte
sich Scheck, in einer Hand seine Dienstmarke, in der anderen
seine Knarre.
"Kalinka Kaa", brummte er. "Endlich verhafte ich Sie wegen
Hochverrats. Torso, nehmen Sie die Handschellen aus mei-
ner Tasche und legen Sie sie ihr an."
Ich tat, wie mir geheissen, und sagte: "Sie haben das Recht,
zu schweigen. Das wollte ich schon immer mal sagen dürfen."

Kalinka Kaa kam vor Gericht und wurde des Landes verwiesen,
wohin sie geschickt wurde, blieb bis heute geheim. Dr. Marstein
hatte zwar gemerkt, dass etwas im Gange war, weshalb er das
ganze Verwirrspiel angezettelt hatte, aber was wirklich alles
geschehen war, das blieb auch ihm verborgen. Johannes Scheck
wird wohl irgendwo auf der Welt irgendeinen Spionagering
ausheben. Und ich, der Sherlock Holmes von Bern, ich warte
in meinem Büro in der Gerechtigkeitsgasse auf Klienten, die
mir zur Abwechslung mal die Wahrheit erzählen...

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