Als Zivilist war es mir etwas unwohl, dass ich zur Militärka-
serne im Breitenrain beordert wurde, aber mein potentiel-
ler Klient wollte mich dort treffen. Er war ein Militärkopf
im Range eines Oberst und hiess Philipp Starwald. Ich
trat zu einem der Camouflageträger hinzu und begrüsste
ihn auf militärisch, mit zusammengeschlagenen Haxen
und der Hand an der Stirn.
"Soldat, Zivilist Torso fragt nach dem Weg zu Oberst
Starwald", sprach ich mit fester Stimme.
"Ich führe Sie hin", bot er an. Er führte mich zu einem
etwas grösseren Gebäude und meinte, ich solle in den
dritten Stock. Ich nahm den Aufzug, und als ich im
dritten Stock ausstieg, erwartete mich eine Ueberra-
schung. An einem Empfangspult sass eine mollige Brü-
nette, die ich aus meiner Jugendzeit kannte.
"Roman Torso?" fragte sie, als sie mich erblickte.
"Noemi?" fragte ich zurück. Noemi Nockalm war vor
vielen Jahren meine erste Freundin gewesen, ich war
damals gerade mal zwanzig, und wie es in jungen Jah-
ren so geht, es hielt nicht sehr lange.
"Was machst du hier?" fragte sie. "Ich dachte, du wärst
Pazifist?"
"Damit ist es nicht mehr ganz so weit her", antwortete
ich. "Ich bin Privatdetektiv. Und was machst du hier?
Und noch dazu in Zivil?"
"Oh, ich bin keine Soldatin. Ich bin Bürolistin und für
Oberst Starwald tätig."
"Ich bin sein Termin um 10 Uhr."
"Ich gebe ihm Bescheid, dass du da bist", sagte sie und
griff zu einem Telefonhörer. Als sie wieder aufhängte,
meinte sie: "Du sollst eintreten."
Ich öffnete die Tür und machte wieder den Soldatengruss.
"Oberst Starwald, Detektiv Torso meldet sich zur Stelle!"
"Lassen Sie das und setzen Sie sich", meinte der Oberst
und deutete auf einen Stuhl vor seinem Schreibtisch.
Oberst Starwald war selbst im Sitzen ein grossgewachse-
ner Mann mit grauem Haar und einem militärisch sitzen-
den Schnurrbart.
"Ich weiss nicht, ob ich für Sie der richtige Mann bin",
meinte ich, als ich mich gesetzt hatte. "Ich habe nie
Militärdienst geleistet."
"Das spielt keine Rolle", erwiderte er. "Mein Problem
ist nicht militärischer Natur. Ein guter Freund hat Sie
empfohlen, ein Mann, der beim Nachrichtendienst ar-
beitet."
"Johannes Scheck?"
"Sie werden verstehen, dass ich ungern Namen weiter-
gebe. Und ich gehe davon aus, dass Sie ebenso ver-
schwiegen sind und ein Geheimnis für sich behalten
können?"
"Wenn's anders wäre, wäre ich im falschen Beruf."
"Mein Problem ist das hier", sagte er und reichte mir
einen Umschlag. Ich öffnete ihn und entnahm ihm ein
Foto einer südländisch wirkenden, jungen Frau mit
üppigen Kurven und Tättowierungen an Armen und
Beinen. Mit Ausnahme der Tättowierungen war sie
nackt.
"Holla", entfuhr es mir. "Ist das Ihre heimliche Geliebte?"
"Es ist meine Tochter Carmen. Lesen Sie den Brief, der
dabei liegt."
Ich nahm einen Zettel aus dem Umschlag, auf dem in
Maschinenschrift geschrieben stand:
"Wo das herkommt, gibt's noch mehr. Carmen hat be-
reits dafür bezahlt, dass diese Bilder unter Verschluss
bleiben. Ihnen dürften Sie wohl auch so um die 20.000
wert sein? Hinterlassen Sie das Geld bis am Mittwoch,
den 4. März, im Schliessfach mit der Nr. 2335 am Bahn-
hof. Schlüssel liegt bei."
Obschon ich den Anblick der feurigen Carmen gerne
noch weiter genossen hätte, steckte ich Foto und Brief
wieder in den Umschlag.
"Es geht also um Erpressung", stellte ich fest.
"Und um den guten Ruf unserer Familie", ergänzte er.
"Können Sie so viel Geld bereit stellen?" fragte ich.
"Könnte ich schon", antwortete er. "Aber wieso sollte
ich?"
"Weil wir so vielleicht dem Erpresser eine Falle stellen
können."
Oberst Starwald tat, wie es im Brief verlangt wurde, und
legte einen Umschlag mit 20.000 Franken in das Schliess-
fach 2335. Da wir nicht wussten, ob er beobachtet wurde,
musste er dies persönlich machen. Meine Aufgabe war
es, das Schliessfach im Auge zu behalten und abzuwar-
ten, ob und wann jemand mit dem Zweitschlüssel kam
und das Fach öffnete. Da ich nicht 24 Stunden wachen
konnte, teilten Edgar Höller, Moritz Loeb und ich uns
in drei Schichten auf. Moritz und Edgar gehören zu den
fähigsten Detektiven, mit denen ich gelegentlich zusam-
men arbeite, wenn ich alleine nicht klar komme. Es
dauerte bis zum Morgen des 4. März, als ich gerade Mo-
ritz wieder abgelöst hatte, bis jemand kam und das Fach
öffnete. Es war eine Person in einem Kapuzenpullover,
einem sogenannten Hoodie. Ich trat zu der Person hin.
Da noch kaum Leute bei den Schliessfächern waren,
konnte ich es wagen, zu meiner Waffe zu greifen, die
ich mir sicherheitshalber eingesteckt hatte. Eigentlich
hasse ich dieses Ding, aber wenn man es mit Erpressern
zu tun hat, sollte man auf alles gefasst sein.
"Hände hoch", sagte ich. "Langsam umdrehen!"
Die Person drehte sich um, und da erkannte ich sie. Vor
mir stand Carmen Starwald höchstpersönlich.
"Aber wieso hat sie das getan?" fragte Oberst Starwald
mich, als ich wieder in seinem Büro sass. "Wieso ins-
zenierte Sie eine Erpressung, die so gar nicht stattfand?"
"Sie brauchte Geld", erzählte ich ihm dieselbe Geschich-
te, die Carmen mir zuvor aufgetischt hatte. "Sie hat
Schulden bei einem Kredithai, da sie dummerweise für
ihren Freund gebürgt hat, ohne zu wissen, dass dieser
spielsüchtig ist. So kam eines zum anderen, und die
beiden planten, den ehrenwerten und wohlhabenden
Vater auszunehmen, da sie glaubten, der würde das
Geld anders nicht herausrücken."
"Und was tun wir nun?" fragte der Oberst.
"Das müssen Sie entscheiden", meinte ich und verab-
schiedete mich. Beim Hinausgehen warf ich Noemi
eine Kusshand zu, welche sie mit ihrem hübschen,
leicht arroganten Lächeln quittierte.
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