Adrienne Vonlanthen empfing mich im spärlich eingerichteten
Büro desVerlagshauses "Köng Print und Medien" in der Lor-
raine. Sie war jünger, als ich mir eine Verlagsagentin vorge-
stellt hätte, und mit ihrem langen, blonden Haar und den üp-
pigen Kurven, die unter ihrem grauen Pullover durchdrück-
ten, auch um einiges hübscher.
"Falls es darum geht, über meine Abenteuer ein Buch zu
veröffentlichen", meinte ich zu ihr, "das hat noch Zeit. Ich
bin noch voll im Saft. Aber wenn ich mal Schorle sein werde,
dann komme ich gerne auf Sie zurück..."
"Ich hoffe, das enttäuscht sie nicht, Herr Torso", unterbrach
sie meinen Redefluss. "Aber es geht um etwas ganz anderes."
"Schade, ich hätte schon ein paar gute Buchtitel im Kopf ge-
habt. 'Ein Torso für alle Fälle' zum Beispiel. Oder 'Mörder,
Möpse und Moneten."
"Es geht um meinen Chef, Herrn Köng. Raimund Köng, den
Verlagschef. Kennen Sie wahrscheinlich?"
"Zumindest den Namen. Ich glaube, ich habe auch schon was
aus diesem Verlagshaus gelesen. Ist Ihr Chef verschwunden?"
"Nicht mein Chef selber, nein. Aber seine Frau. Christa Köng."
"Und was haben Sie mit der Sache zu tun?"
"Herr Köng hat sich für ein paar Tage zurückgezogen, da er
deswegen deprimiert ist. Sie hat ihm einen Brief hinterlassen,
dass sie mit einem Liebhaber nach Italien abhaut. Der Mann
heisst Cristiano Latravi."
"Und Herr Köng hat Sie beauftragt, mich zu beauftragen?"
"Nein, das Ganze war meine Idee. Ich möchte, dass Herr Köng
glücklich ist. Das Arbeitsklima ist viel besser, wenn es dem
Chef gut geht..."
"Das ist wohl wahr. Müsste ich nach Italien fahren? Ich kann
nämlich kein Italienisch."
Sie blickte mich erstaunt an. "Ist Torso denn kein italienischer
Name?" fragte sie.
"Das muss nichts heissen", meinte ich. "Vielleicht war einer
meiner Vorfahren mal ein Pastaschlürfer. Das wäre aber Gene-
rationen her..."
"Ich weiss nicht, ob Sie nach Italien müssen", sagte sie. "Viel-
leicht auch nicht, wenn Sie schnell genug sind. Ich habe einen
Cristiano Latravi im Telefonbuch von Bern gefunden. Der
Mann wohnt in der Bitziusstrasse. Wissen Sie, wo die ist?"
"Ich glaube, die ist in der Schosshalde", antwortete ich.
"Na dann, an die Arbeit", machte sie.
"Sollte ich nicht besser zuerst mit Herrn Köng sprechen?" fragte
ich.
"Wäre es nicht viel schöner", fragte sie zurück, "wenn wir ihn
mit seiner wiedergefundenen Frau überraschen könnten?"
"Was so viel heisst, wie: Der Ehemann soll davon nichts wissen..."
"Genau..."
"Trotzdem bräuchte ich noch eine Beschreibung der Gesuchten."
"Ich gebe Ihnen ein Foto."
Sie öffnete ihre Schreibtischschublade und reichte mir ein Foto
einer langhaarigen, schlanken Brünette. Das Foto war sorgfäl-
tig aus einem grösseren Foto herausgeschnitten, die Linien der
Schere waren klar ersichtlich. Ich steckte es ein.
"Na dann", meinte ich. "An die Arbeit!"
Da ich mit Herrn Köng keinen Kontakt aufnehmen durfte, blieb
mir nichts anderes möglich, um den Fall anzugehen, als Herrn
Latravi aufzusuchen. Ich fand die im Telefonbuch angegebene
Adresse an der Bitziusstrasse und klingelte. Ein Summen ertön-
te, und ich konnte das Haus betreten. Herr Latravi wohnte im
zweiten Stock. Er hatte dunkle Locken und einen Bauch, und
er wartete barfuss vor seiner Tür auf mich. Ich stellte mich vor:
"Roman Torso, Privatdetektiv. Ich suche Christa Köng. Ist sie
bei Ihnen?"
"War sie kurz", antwortete er. Er sprach ohne Akzent. "Aber
seit gestern habe ich sie nicht mehr gesehen."
"Darf ich reinkommen?"
Er liess mich eintreten, und ich blickte mich um. Ausser ihm
schien wirklich niemand hier zu sein.
"Wollten Sie nicht gemeinsam nach Italien?" fragte ich.
"Hat Ihr Mann Sie geschickt?" fragte er zurück.
"Nein, er weiss nicht einmal, dass ich nach ihr suche."
"Ich weiss nicht, ob ich Ihnen vertrauen kann", meinte er, "da
Christa behauptet hat, ihr Leben wäre in Gefahr. Sie glaubt,
ihr Mann wolle sie umbringen."
"Weshalb sollte er das wollen?"
"Das weiss ich nicht. Aber ich vermute, dass sie es sich deswe-
gen mit Italien anders überlegt hat. Ich weiss nicht, wo sie hin
ist. Ich wollte, ich wüsste es."
"Dann wollen wir sie also beide finden", stellte ich fest. "Tun
wir uns doch zusammen..."
"Denken Sie, Sie könnten sie finden?"
"Wenn Sie mir mehr über sie erzählen. Hat sie spezielle Interes-
sen?"
"Kunst. Sie mag Kunst. Vor allem das Abstrakte. Ich bin ja mehr
für Michelangelo, aber sie... Kandinsky, Klee... das sind ihre
Helden."
"Da dürfte es sie freuen, dass ihr Liebhaber ganz in der Nähe des
Klee-Zentrums wohnt", meinte ich.
"Dort habe ich sie auch kennen gelernt", erzählte er. "Sie arbeitet
dort als Nachtwächterin. Leider kennen die Leute, die tagsüber
dort sind, diejenigen von der Nachtschicht kaum, so dass meine
Nachfrage nicht besonders erfolgreich war."
"Vielleicht kriege ich ja mehr raus", meinte ich und lächelte ihn
aufmunternd an.
Ich sass im Zentrum Paul Klee vor einem Bild, das mir weder
etwas sagte, noch gefiel. Es war kurz, bevor das Museum für
den Publikumsverkehr schliessen würde. Ein uniformierter
Mann trat zu mir hin.
"Wir schliessen", sagte er zu mir.
"Nicht für mich", machte ich. "Ich bin von der Nachtschicht."
"Ein neuer Kollege?" zeigte er sich erstaunt. "Wo ist deine
Uniform?"
"Hab' noch keine erhalten. Ist meine erste Nacht."
"Na gut, komm mit", bedeutete er mir und führte mich zu den
Personalgarderoben. Ich schnappte mir eine Uniform in der
passenden Grösse und war für allerlei Schandtaten bereit und
erstaunt darüber, wie einfach mein Plan aufgehen sollte.
Ich hatte weiterhin Glück. Kaum, dass der Dienst angefangen
hatte, erblickte ich Christa Köng. Sie war sogar die erste, die
auf mich zukam.
"Ein neuer Kollege?" fragte sie.
"Roman", stellte ich mich vor und reichte ihr die Hand.
"Christa", erwiderte sie.
"Sag mal, bist du nicht die Frau von dem Verleger?"
"Ja, aber ich habe ihn verlassen."
"Ich habe gehört, er vermisst dich."
"Kennst du ihn?"
"Ihn selber nicht. Ich kenne eine seiner Angestellten: Adrienne
Vonlanthen."
"Ich dachte, ich wäre hier sicher", meinte sie.
"Sicher wovor?" fragte ich.
"In den letzten zwei Monaten kam ich mehrmals knapp mit dem
Leben davon", erzählte sie. "Erst wurde ich beinahe überfahren,
dann wurde aus einem Fenster auf mich geschossen... Ich glau-
be, mein Mann will mich umbringen."
"Wieso sollte er das wollen?"
"Vielleicht liegt es an dieser Vonlanthen. Sie macht ihm ständig
schöne Augen, scharwenzelt um ihn rum..."
"Denkst du, die beiden haben eine Affäre?"
"Ich weiss es nicht. Ich halte meinen Mann eigentlich für treu.
Aber er ist in einem Alter, in dem Männer allerhand Blödsinn
anstellen...Die Midlife-Krise, verstehst du?"
"Vielleicht kann ich dir helfen", meinte ich. "Können wir uns
irgendwo ungestört unterhalten?"
"Ich kann eine kurze Rauchpause einlegen", schlug sie vor. "Da-
zu müssten wir aber raus."
Wir verliessen kurz das Gebäude, und Christa zündete sich eine
Zigarette an. Plötzlich bewegte sich aus der Dunkelheit eine Per-
son auf uns zu. Als sie nahe genug war, erkannte ich Adrienne
Vonlanthen.
"Gut gemacht, Herr Torso", sprach sie mich an. "Jetzt übernehme
ich die Angelegenheit."
"Nein, das tun Sie nicht", widersprach ich. "Nicht, bevor ich weiss,
was hier gespielt wird..."
"Was ist hier los?" fragte Christa.
Blitzschnell zückte Adrienne eine kleine Pistole.
"Was hier los ist?" echote sie. "Der Mann ist Privatdetektiv und
sollte Sie für mich aufspüren. Aber nicht, um Sie und Ihren Mann
wieder zusammen zu bringen, wie ich es ihm verklickert habe,
sondern, damit ich endlich meinen Plan fertig ausführen kann.
Denn solange Sie noch leben, wird Ihr Mann nie ein Auge für
mich haben..."
Sie bemerkte nicht, dass sich hinter ihr jemand genähert hatte.
Es war ein Mann, der mir sehr gut bekannt war: Wachtmeister
Bünzli von der Kriminalpolizei.
"Waffe fallen lassen!" rief er und legte Adrienne Handschellen
an.
Bünzli brachte Adrienne zum Revier, und Christa und ich blieben
beim Klee-Zentrum zurück. Nachdem ich die Uniform zurück-
gebracht und mich heftig mit dem armen Kerl gestritten hatte,
dem diese eigentlich gehörte und der sie verzweifelt überall ge-
sucht hatte, konnte ich Christa die ganze vertrackte Situation end-
lich erklären.
"Der Verleger war nicht der Attentäter", begann ich. "Erst hätte
ich nicht mit so was gerechnet, aber als Herr Latravi erwähnte,
dass du Angst um dein Leben hast, da vermutete ich, dass etwas
nicht stimmte. Aber Raimund schien eher resigniert über die Si-
tuation zu sein. Adrienne hingegen wollte dich unbedingt finden.
Das Foto, das sie mir gab, war aus einem grösseren Foto heraus-
geschnitten. Wahrscheinlich war auf dem anderen Teil dein Mann
zu sehen. In ihrer Welt gehörtet ihr eh nicht zusammen, aber noch
war da die Möglichkeit, dass du zu ihm zurückkommen könntest.
Das wollte sie verhindern, um ihren Boss endlich für sich selbst
zu haben...Ich rechnete mit Gefahr und verständigte, nachdem
ich bei Latravi war die Polizei. Inspektor Reber war von meiner
Idee gar nicht begeistert, aber dennoch schickte er Bünzli her,
wenn auch vielleicht nur, um mich im Auge zu behalten..."
"Ich muss zurück zur Arbeit", meinte sie und seufzte. "Ich den-
ke, ich schulde dir was, dafür, dass du mein Leben gerettet hast."
"Da meine Klientin verhaftet wurde", meinte ich, "wäre ich
ganz froh, wenn ich dir meine Rechnung schicken könnte. Und
wenn mir jemand die Kunst von Klee erklären könnte. Wieso
hängt man sich Unkraut an die Wand?"
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