Sonntag, 24. Mai 2020

Aufzeichnungen eines Aussenseiters, 24.5.2020

Nachdem ich in meinen letzten Texten die Beziehungen zwi-
schen Helden und Schurken mal etwas untersucht habe,
möchte ich mich heute nochmals etwas eingehender mit
letzteren befassen. Es heisst, eine Heldenfigur ist nur so
interessant wie die Schurken, die sie bekämpft. Aber was
muss einen Schurken in einer Geschichte ausmachen?
Beim Helden ist der Fall klar, er muss für das Gute ein-
stehen, für Recht und Gesetz. Der Schurke ist stets der
Böse, doch was will er eigentlich? Das klassische Motiv,
dass Schurken sich bereichern oder die Weltherrschaft wol-
len, das funktioniert heutzutage fast nur noch in Kindersen-
dungen. Erwachsene Zuschauer wollen Schurkenfiguren,
deren Motive auch einigermassen nachvollziehbar sind.
So ist die Beziehung von Herakles zu Hera etwa psycho-
logisch durchaus interessant, da Herakles aus einer Affäre
des Zeus entstand, was Heras Hass auf den Helden erklärt.
Lex Luthor - Wikipedia
Lex Luthor erfuhr im Laufe der Zeit eine Umwandlung. War
er in den ganz frühen Superman-Geschichten noch ein norma-
ler, wenn auch genialer Krimineller, wurde er später zum Gross-
industriellen, der einerseits auf Superman Neid empfindet-
vor Supies Auftreten war Luthor der meistgeachtete Bürger
in Metropolis-, andererseits sich vor den Kräften des Krypto-
niers aber auch fürchtet und sich deshalb erst recht gegen ihn
stellt. Diese Umwandlung machte aus Luthor einen interessan-
teren, ambivalenteren und erwachseneren Charakter und mach-
te die einst doch recht simpel gestrickten Superman-Geschich-
ten um einiges besser.

Auch Professor Hugo Strange, einer der ersten Gegenspieler
von Batman, erlebte eine ähnliche Umwandlung. War er zu-
nächst nur ein weiterer verrückter Wissenschaftler, wie es sie
in den Comics eh schon zu viele gibt, wurde aus ihm später
ein renommierter Psychiater, der versucht, sich in Batman
hinein zu versetzen, seine Motive zu verstehen. Dabei findet
er nicht nur Batmans Geheimidentität heraus, er identifiziert
sich mit dem Vigilanten und möchte selber in dessen Fuss-
stapfen treten.

Gerade bei den Gegnern von Batman wurde viel Wert auf die
jeweiligen Entstehungsgeschichten gelegt, um ihre Motive
erklärbarer und verständlicher zu machen. So waren etwa
der Pinguin und Scarecrow Opfer von Mobbing, was sie zu
ihren jeweiligen Verbrecherkarrieren trieb. Und Mister Free-
ze gibt Batman die Schuld am Tod seiner Frau, weshalb er
sich rächen will. Poison Ivy und Ra's al Ghul möchten die
Natur retten, was für letzteren allerdings in Massenmord
mündet, um die Weltbevölkerung einzudämmen. Und, da-
mit alle Verschwörungstheoretiker dies auch sicher wissen:
Ra's al Ghul ist eine fiktive Figur und kann somit auch nicht
am Corona-Virus schuld sein!

Ras'al Ghul erinnert damit etwas an den Thanos in den Mar-
vel-Filmen, der dort dieselben Motive angab. Das war aber
nur, damit auch weniger comicaffine Zuschauer die Filme
verstehen, denn in den Comics hatte Thanos ganz andere
Motive: Dort verliebte er sich in den Tod und wollte diesem
die halbe Weltbevölkerung zum Geschenk machen- ein Mo-
tiv, das zwar in einem Comic, aber in einem Film nicht funk-
tionieren würde.

Doctor Doom will die Weltherrschaft, weil er glaubt, dass er
dadurch für weltweiten Frieden sorgen könnte, allerdings
gebraucht er dazu kriegerische Mittel. Und Magneto will
eigentlich dasselbe, was auch die X-Men wollen: dass Mu-
tanten nicht diskriminiert werden. Die Gegenspieler Profes-
sor X und Magneto wurden schon öfters mit Martin Luther
King und Malcolm X verglichen; der eine setzt auf Aufklä-
rung, der andere auf Gewalt. Überhaupt ist "X-Men" der
wahrscheinlich erwachsenste Superheldencomic, da es sich
hier ganz klar um eine Parabel über Rassismus und Diskri-
minierung handelt. So hat Magneto-Darsteller Ian McKellen
sogar Paralellen zu seinem eigenen Leben gesehen, ist der
Schauspieler doch offen homosexuell und erlebte Diskrimi-
nierung schon am eigenen Leib. Und Stan Lee und Jack
Kirby, die Erfinder der X-Men, waren beide jüdischer Ab-
stammung und haben die Thematik durchaus bewusst ge-
wählt.

Beispiele wie diese zeigen, dass Comics durchaus nicht nur
Jugend- oder Schundliteratur sind, sondern im Laufe der
Zeit erwachsener geworden sind und durchaus- auch ab-
seits von "Asterix"- etwas zu sagen haben. Beim Teutates!

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