Donnerstag, 9. Juli 2020
Aufzeichnungen eines Aussenseiters, 9.7.2020
(Zeichnung von Francis Tsai)
Bei DC Comics läuft zurzeit das serienübergreifende Crossover-
Event "Das Jahr des Schurken", was heisst, dass einige der
bekannten DC-Schurkenfiguren wohl mal etwas genauer unter
die Lupe genommen werden. Für mich als Comicfan Grund ge-
nug, dieses Jahr mal einige der bekanntesten Schurken aus Co-
mic, Film und Literatur zu analysieren. Klar, das ist eine völlig
subjektive Analyse und keineswegs wissenschaftlich, aber es
könnte durchaus interessant sein. Wir bleiben noch im Jahr
1964 und bei Marvel Comics und befassen uns heute mit dem
Erzfeind des Hulk, dem Mann, der sich, in grenzenloser Selbst-
überschätzung, selbst Leader nennt. Stan Lee und Steve Ditko
liessen ihn erstmals gegen den Hulk antreten, er gehört somit
zu den ersten klassischen Schurken, die ihren Einstand nicht
durch denselben Zeichner wie die Heldenfigur hatten; der Hulk
wurde von Jack Kirby zuerst dargestellt. Der Leader gehört zu
den intelligentesten Superschurken des Marvel-Universums,
er ist ein wissenschaftliches Genie, allerdings eines ohne Dok-
tortitel; er hat noch nicht einmal studiert. Samuel Sterns, wie
er richtig heisst, war ein völlig normaler Hausmeister mit ei-
nem völlig normalen, sogar etwas unterbelichteten Intelligenz-
quotienten, bis er bei einem Unfall Gammastrahlung abbekam,
dieselbe Strahlung, die Bruce Banner zum Hulk werden liess.
Sterns Haut wurde grün, sein Kopf schwoll an, und er merkte,
dass ihm Berechnungen und wissenschaftliche Abhandlungen,
die für ihn vorher überhaupt nicht verständlich waren, plötz-
lich leicht fielen. Sterns, der immer etwas im Schatten seines
genialen Bruders Philipp gestanden hatte- der als Mad Man
später auch zum Schurken werden sollte- konnte mit diesem
endlich nicht nur mithalten, er überflügelte ihn sogar. Leider
war Sterns schon immer ein eher zwielichtiger Charakter,
und sein neu gewonnener Intellekt machte ihn keineswegs
zu einem besseren Menschen. Statt seine Fähigkeiten zum
Wohle der Menschheit einzusetzen, wollte er sich selber be-
reichern und sich an der Menschheit, die den alten Samuel
Sterns für einen Versager gehalten hatte, rächen. Aber das
Gefährlichste war der Grössenwahn, den er entwickelte. Er
nannte sich "Leader" und glaubte, als einziger intelligent ge-
nug zu sein, um die Welt regieren zu können! Ein klassischer
Superschurke also, der die Weltherrschaft übernehmen will.
Während der Mandarin glaubt, diese wäre- als Nachkomme
von Dschingis Khan- sein Geburtsrecht und Dr. Doom der
Ansicht ist, nur seine, leider tyrannische, Weltherrschaft
würde der Welt Frieden bringen, ist der Leader einfach nur
seinem Grössenwahn verfallen. Dass er immer wieder auf
den Hulk trifft, der seine Pläne durchkreuzt und den er end-
lich besiegen will, liegt vor allem an der ähnlichen Geschich-
te, durch die diese beiden Kontrahenten miteinander verbun-
den sind: Beide erhielten ihre Kräfte durch einen Unfall mit
Gammastrahlung. Die Kombination Hulk gegen Leader folgt
aber auch einem weit verbreiteten Schema, das immer wie-
der aufgegriffen wurde: der superstarke Held gegen den trick-
reichen Bösewicht. Wir können zurück gehen bis zu Thor und
Loki oder Herakles und Hera, da begegnen wir dieser Kombi-
nation bereits. Und wenn wir bei den Comics bleiben wollen,
dann sind Superman und Lex Luthor ein Paradebeispiel. Ge-
rade in den Superheldencomics wird dieses Schema sehr ger-
ne verwendet, hilft es doch dabei, anständige Geschichten er-
zählen zu können, statt 22 Seiten lang nur Hau-drauf-Prüge-
leien zu präsentieren. Klar gab es im Laufe der Geschichte
auch immer wieder die umgekehrte Rollenverteilung, dass
der Held der listenreiche und der Schurke der Muskelmann
war- man denke nur an David und Goliath oder Odysseus
und den Zyklopen. Aber egal, wie die Rollen verteilt sind,
es ist immer wieder die Geschichte von Verstand gegen Kraft-
entscheidend ist, ob der Verstand zum Guten oder zum Schlech-
ten eingesetzt wird. Aber ist das bei Hulk und Leader wirklich
so simpel? Nicht ganz. Wie viele andere Figuren hat auch der
Leader im Laufe der Zeit seine Wandlungen durchgemacht, so
war er bspw. Mitglied einer Gruppierung von superklugen Schur-
ken, der Intelligencia, die massgeblich an der Entstehung des
Roten Hulk und der Roten She-Hulk beteiligt war, es kam aber
auch immer wieder vor, dass er sein wissenschaftliches Können
der Regierung zur Verfügung stellte und sich auf die Seite der
Guten schlug. Und eine Zeit lang durfte er sogar ein eigenes
Land regieren, eine von ihm selbst gebaute utopische Welt na-
mens Freehold. Der Leader entdeckte im Laufe der Zeit seine
besseren Seiten, er war nicht mehr bloss ein eindimensionaler,
grössenwahnsinniger Schurke, er wurde vielschichtiger. Dies
hing u.a. damit zusammen, dass er immer mehr unter seinem
überragenden Intellekt zu leiden begann- kaum einer konnte
wirklich mit ihm mithalten. So kam es, dass er es nicht mehr
wirklich auf den Hulk abgesehen hatte, sondern sich mit des-
sen anderer Persönlichkeit, dem Wissenschaftler Dr. Bruce
Banner. messen wollte, den er als einen der wenigen Menschen
betrachtet, die ihm intellektuell ebenbürtig sind... Die klassi-
sche Rollenverteilung wurde zwar nicht aufgegeben, aber auf-
geweicht... und die Konfrontation zwischen Leader und Hulk
wurde dadurch um einiges interessanter...
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen