Die mollige Brünette, die mich in meinem Büro in der Gerech-
tigkeitsgasse aufsuchte, war zwar eine attraktive Frau, wirkte
aber, als ob sie kurz zuvor aus dem Bett gefallen wäre.
"Sind Sie Roman Torso?" fragte sie.
"Steht an der Tür etwa, ich wäre Alfred Hitchcock?" fragte ich
zurück. Ihr Blick wechselte von verschlafen zu kritisch. Da hat-
te ich bei ihr immerhin schon etwas bewirkt.
"Ich weiss nicht, ob Sie der richtige Mann für diesen Job sind",
meinte sie.
"Finden wir es raus", meinte ich und bot ihr an, sich zu setzen.
"Mein Name ist Stein", begann sie. "Lisa Stein. Ich brauche
Hilfe bei einer Schatzsuche."
"Einer Schatzsuche?" echote ich. "Ich bin Privatdetektiv, nicht
Indiana Jones."
Sie entnahm ihrer Hosentasche zwei zusammengeknüllte Zet-
tel. "Das hat mein Onkel mir hinterlassen", erklärte sie.
Ich nahm die Zettel und öffnete sie. Einer schien ein Stadtplan
von Bern zu sein, der andere war ein handgeschriebener Brief.
Ich las den Brief durch. Darin stand folgendes:
Liebste Nichte,
wenn Du diesen Brief in Händen hältst, werde ich
nicht mehr bei Dir sein. Offiziell hatte ich nichts,
um es Dir hinterlassen zu können, aber heimlich
konnte ich ein kleines Vermögen anhäufen und es
in der Stadt verstecken, an einem Ort, den nur ich
kenne. Du kannst diesen Ort finden, wenn Du die
Hinweise, die ich Dir gebe, richtig zu deuten weisst.
Solltest Du den Schatz finden, so gehört er Dir. Und
da niemand sonst davon weiss, kann Dir auch nie-
mand was davon streitig machen.
In Liebe: Dein Onkel Ralf.
Ich gab ihr den Brief zurück.
"Nun weiss ich auch davon", meinte ich, "und werde natürlich
ein Honorar verlangen."
"Das habe ich bereits einkalkuliert", meinte sie. "Ich habe eine
anständige Arbeit im Detailhandel, Ihr Honorar ist Ihnen also
auch dann sicher, wenn Sie nichts finden."
Ich nickte und faltete den Stadtplan auseinander.
"Ich bin leider nicht gut im Karten lesen", musste ich zugeben.
"Das Karten lesen habe ich schon übernommen", meinte sie.
"Wozu brauchen Sie mich?" fragte ich.
"Für die Detektivarbeit", antwortete sie. "Ich war dort, an der
Ecke, die auf der Karte markiert ist, aber ich fand nichts, was
auf irgendeinen Schatz hindeutet."
"Jetzt hört sich die Sache schon besser an", meinte ich. "Führen
Sie mich hin."
Die Ecke, an die uns die Karte hinführte, kannte ich sehr gut,
stand ich doch schon öfters an dieser: Vor dem Wisentgehege
des Tierparks im Dählhölzliwald.
"Sehen Sie?" fragte sie mich. "Hier ist nichts."
"Vielleicht zwischen den Bäumen?" meinte ich und drehte
mich um. Sie schloss zu mir auf, da ich aber abbremste,
prallte sie leicht mit mir zusammen. Ich spürte ihren wei-
chen Bauch an meinem Rücken.
"Entschuldigung", murmelte sie.
"Schon gut", meinte ich. "War schliesslich nichts Unangeneh-
mes."
Sie lächelte. Vielleicht war ich ja doch der richtige Mann für
diesen Job.
Als wir weiter ins Dickicht drangen, spürte ich plötzlich eine
Veränderung unter meinen Sandalen. Der Boden unter mir
schien lockerer, aufgewühlter zu sein. Als Frau Stein näher
trat, knirschte etwas.
"Was war das?" fragte sie.
"Wie schwer sind Sie?" fragte ich sie.
"Das fragen Sie jetzt aber nicht im Ernst?" gab sie zurück.
"Da unten ist etwas", meinte ich und bückte mich, um mit
Händen und Füssen das Erdreich aufzukratzen. "Der Boden
ist aufgewühlt, und etwas hat geknirschr. Aber nur bei Ih-
nen, bei mir nicht. Bingo!"
Tatsächlich hatte ich eine unterirdische Geheimtür gefunden.
Sie schien aus Holz zu sein und schon leicht morsch, was
das Knirschen erklärte. Als ich sie anhob, merkten wir, dass
sie auf der Innenseite aus Metall war; das Holz war dem-
nach nur eine Verkleidung. Über eine Treppe konnten wir
das Versteck betreten. Ich musste mich leicht bücken, da
die Decke zu niedrig war. Frau Stein schien dies zum An-
lass zu nehmen, sich für meine Frage von vorhin zu revan-
chieren.
"Wie gross sind Sie?" fragte sie mit leichtem Grinsen.
"Ich bin genau so gross wie Arnold Schwarzenegger, nur
bei ihm fällt's mehr auf."
Meine Antwort schien sie zu amüsieren. Als unsere Au-
gen sich besser an das Halbdunkel gewöhnt hatten, er-
kannten wir, wo wir gelandet waren: in einem unterirdi-
schen Weinkeller. Ich nahm eine der Flaschen in die
Hand und versuchte, das Etikett zu entziffern.
"1846", sagte ich und pfiff durch die Zähne.
"Und was soll das?" meinte sie. "Wo ist der Schatz?"
"Ich fürchte, das ist der Schatz", erwiderte ich.
"Alte Weinflaschen?" machte sie. "Was soll ich damit?
Das ist doch mittlerweile längst Essig!"
"Na, ich nehm's bestimmt nicht", knurrte ich. "Ich trinke
keinen Wein. Aber ich weiss, dass es Kenner und Samm-
ler gibt, die für so was 'ne Menge Kies hinblättern."
Nachdem meine Klientin etwas enttäuscht vom Resultat
unserer Schatzsuche war, begegnete ich ihr zwei Monate
danach noch einmal. Durch den Verkauf der alten Weine
war sie doch noch zu ihrem versprochenen Vermögen ge-
kommen. Sie bedankte sich, indem sie mir einen Kuss
auf die Wange drückte, wobei ich erneut ihren weichen
Bauch spüren konnte. Ich betrachtete das als Bonushono-
rar- das war es wert!
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