Inspektor Leuenberger war gross und schlank, mit stahlblauen Augen,
grauem Haar und einem gepflegten Schnurrbart. Irgendwie tat es richtig
gut, mal wieder einen schlanken Menschen zu treffen, nachdem ich vor-
hin mit Karin und Betsy zusammen war.
"Miss Towers hat erwähnt, dass sie Sie anstellen würde, um zu ermitteln",
begann er mit einer Fistelstimme, die so gar nicht zu einem Polizisten
passte. "Deswegen habe ich mir Informationen über Sie eingeholt. Mein
Freund, Inspektor Reber von der Kriminalpolizei Bern, scheint keine
grossen Stücke auf Sie zu halten."
"Das trifft sich gut", erwiderte ich. "Ich halte auch keine grossen Stücke
auf Inspektor Reber."
Er blickte mich böse an. Möglicherweise war er Rebers geheimer Lieb-
haber.
"Natürlich können wir Miss Towers nicht verbieten, einen Privatdetektiv
mit dem Fall zu betrauen", hob er dann an, "solange dies unseren Ermitt-
lungen nicht im Wege steht."
"Wenn ich Ihren Ermittlungen im Wege stehen wollte, wäre ich nicht hier.
Ich möchte Sie über den Stand der Untersuchungen befragen."
"Die Sache ist ziemlich klar. Die Towers profitierte vom Tod ihres Bera-
ters, der über ihr Konto, ihre Geschäfte, über so ziemlich alles wachte."
"Aber die Towers konnte nicht ins obere Stockwerk. Sie ist zu schwer für
die Treppe."
"Sie könnte Jemanden beauftragt haben. Auf der Mordwaffe waren jeden-
falls nur ihre Fingerabdrücke."
"Ein Auftragskiller, der die Waffe seiner Auftraggeberin benutzt und
Handschuhe trägt? Ist das nicht eine etwas gewagte Theorie?"
"Warum nicht? Vergessen Sie nicht: Die Frau hat Geld. Die kann sich
alles kaufen, was sie will."
"Alles, was sie will", erklärte ich, "ist, sich den Wanst vollschlagen und
noch fetter werden. Glauben Sie mir, diese Frau kann keinen Mord be-
gehen- es sei denn an den unzähligen Rindviechern, Hähnchen und
Schafen, die schon den Weg in ihren Magen gefunden haben."
Er blickte mich wieder böse an. "Vertreten Sie bloss die Interessen Ihrer
Klientin oder möchten Sie den Fall aufklären?" fragte er.
"Beides", antwortete ich.
"Mir scheint, Sie sind ein bisschen voreingenommen", tadelte er. "Gefällt
Ihnen die Towers etwa? Inspektor Reber verriet mir, dass Sie eine Schwä-
che für dicke Frauen hätten."
"Ich mag lediglich keine flachen Frauen", erklärte ich. "Aber zurück zum
Geschäft: Wie verlief der Tathergang?"
"Es war etwa neun Uhr abends, als die Towers und ihre Köchin den Schuss
hörten. Sie glaubten aber, es würde sich um eine in der Nähe stattfindende
Militärübung handeln und kümmerten sich nicht weiter darum. Etwa um
neun Uhr zehn erschien der Butler, ziemlich aufgelöst und unter Tränen.
Er hatte die Leiche gefunden."
"Wer hatte das Opfer zuletzt lebend gesehen?"
"Alle. Sie waren alle in der Küche, als Merck sich verabschiedete, um
schlafen zu gehen. Das war kurz vor acht Uhr. Er ging immer so früh ins
Bett und stand immer bereits morgens um vier Uhr auf."
"Was taten die Anwesenden?"
"Frau Trotzer, die Köchin, kochte Speck und Spiegeleier für Miss Towers,
die Sauerkraut, Bohnen und einen Coup Dänemark ass."
"Da wär' ich doch beinahe selber drauf gekommen", machte ich. "Und
der Butler?"
"Fragte, ob er noch gebraucht werde und verabschiedete sich dann, um
ebenfalls schlafen zu gehen. Das war um halb neun."
"Der Butler hat also kein Alibi."
"Er war im Nachthemd, als er später wieder erschien. Wir untersuchten
sein Bett. Es war benutzt worden."
Ich nickte zustimmend. Genau das hatte ich erwartet.
"Genau genommen könnte es auch die Köchin gewesen sein", erläuterte
er. "Wer sagt uns denn, dass sich die beiden Frauen nicht gegenseitig
decken? Diese Trotzer arbeitet erst seit kurzem für die Towers. Ist das
nicht verdächtig?"
Nun war ich derjenige, der böse blickte. "Für die Trotzer würde ich
meine Hand ins Feuer legen", erklärte ich.
"Ich hatte also recht", meinte Leuenberger. "Sie sind voreingenommen!"
"Ich, mein lieber Inspektor", flötete ich, "habe der Trotzer diese Stelle
verschafft."
Sein Blick durchdrang mich, als ob er mich nun auch gleich zu den Ver-
dächtigen zählte. Ich beschloss, meinen Fund- das kleine, schwarze Büch-
lein- vorläufig noch für mich zu behalten und erstmal zu sehen, was sich
tun würde, wenn ich diesem Patrick Rothen ein bisschen auf die Pelle
rücke.
Fortsetzung folgt...
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