Dienstag, 19. April 2016

Aufzeichnungen eines Aussenseiters, 19.4.2016

"Muss man das kleine Latinum gemacht haben, um mitreden
zu können?" (Bastian Sick)

Jede Berufs-und Bevölkerungsgruppe hat ihre eigene Sprache.
Man denke nur an die Jugendsprache, den Ghetto-Slang oder
die Gelehrtensprache. Gärtner zum Beispiel nennen ihre
Pflanzen nicht Bartfaden, Gänseblümchen oder Weihnachts-
stern, sondern benutzen die wissenschaftlichen, botanischen
Bezeichnungen, also für Gänseblümchen Bellis perennis
oder für den Weihnachtsstern Euphorbia pulcherrima.

Und nicht nur das, sie verlangen auch von ihren Lehrlingen,
dass sie die botanischen Namen kennen. Die Begründung ist
eigentlich simpel. Da viele Pflanzen nicht nur in verschiede-
nen Ländern, sondern gar von Region zu Region verschieden
genannt werden, wurde irgendwann entschieden, dass Gärt-
ner untereinander die wissenschaftlichen Bezeichnungen be-
nutzen, um ja sicherzugehen, dass die richtige Pflanze ge-
meint ist. Dabei wären einige dieser Trivialnamen doch so
hübsch. Sumpfdotterblume zum Beispiel. Das klingt doch
viel schöner als Caltha palustris. Okay, rein vom Poeti-
schen her gäbe es wohl bessere Beispiele als gerade Sumpf-
dotterblume. Aber wir belassen es nun bei diesem Beispiel.
Der Gärtner aus der Deutschschweiz möchte nun in einem
Betrieb irgendwo in der EU, Holland, England oder Frank-
reich oder wo auch immer, Sumpfdotterblumen bestellen.
Er weiss aber nicht, wie die Sumpfdotterblume auf Eng-
lisch, Französisch oder Kauderwelsch heisst. Also bestellt
er Caltha palustris, denn dieser Name ist international gül-
tig. Das ist einer der Gründe, warum Gärtnerlehrlinge latei-
nische Pflanzennamen büffeln müssen und dabei oft tief
seufzen. Der zweite Grund dürfte wohl sein, damit auch
stinknormale Handwerker, nämlich eben Gärtner, mal
etwas bluffen und gelernt klingen können. Blöd wird es
nur, wenn Gärtner die gängigen Trivialnamen dabei ver-
gessen und sie von ihren Praktikanten und, noch blöder,
ihren Kunden deswegen nicht mehr verstanden werden.
"Eine Frage, was empfehlen Sie mir für einen schattigen
Standort?"
"Na ja, sehr beliebt zur Zeit wäre Hosta sieboldiana."
"Hossa? Wie bei Rex Gildos Schlagertexten?"
"Nicht Hossa, Hosta."
"Was ist das bitte?"
"Ich zeige Ihnen eine."
"Ach, Sie meinen eine Funkie! Nein, danke, die sind
mir dann doch zu funky."

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