Mittwoch, 12. Oktober 2016

Aufzeichnungen eines Aussenseiters, 12.10.2016

"Zum Straucheln braucht's doch nichts, als Füsse."
(Heinrich von Kleist: "Der zerbrochne Krug")

Ich gehöre zu den wenigen Menschen in unserer westlichen
Hemisphäre, die nicht Auto fahren können.

Ich will es auch gar nicht, Auto fahren können, und ich wollte
es nie. Fast alle, die ich je kannte, abgesehen von einigen
wenigen Ausnahmen, verstanden das nie so wirklich.
Im 10. Schuljahr wurde ich gefragt, warum ich es nicht
lernen möchte, und ich antwortete: "Ich fahr' lieber Zug.
Im Zug kann ich lesen, mich unterhalten, flirten, zeichnen,
schreiben, schlafen. Beim Autofahren kann ich so etwas
nicht."
"Doch", meinte einer meiner Klassenkameraden. "Aber nur
einmal."
Als ich nach der Lehre zum ersten Mal eine Stelle suchen
musste, schien es mir, dass mir deswegen ständig Vor-
würfe gemacht wurden. Aber einerseits hatte ich ein öko-
logisches, kein ökonomisches Denken, und andererseits
fühlte ich mich von den zahlreichen Verkehrsregeln auch
ohne den technischen Wirrwarr eines Kraftfahrzeuges oft
schon überfordert. Es geht mir heute noch manchmal so.
Glücklicherweise kann mir heute aber niemand mehr des-
wegen Vorhaltungen machen. Bei meiner IV-Abklärung
kam nämlich heraus, dass meine dreidimensionale Wahr-
nehmung leicht verschoben wäre, anders gesagt: Meine
Sichtweise ist, im wahrsten Sinne des Wortes, etwas
ver-rückt. Unter diesen Umständen wäre es keine gute
Idee, Auto fahren zu wollen. Bäume wollen schliesslich
auch leben. Nach wie vor heisst also das sicherste Fort-
bewegungsmittel, mit dem man zwar nicht ganz so weit
in so kurzer Zeit kommt, das aber jedem körperlich ge-
sunden Menschen zur Verfügung steht, nicht Mercedes,
sondern per pedes.

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