Freitag, 9. November 2018
Kurzgeschichte: "Der Kampf um die Seelenessenz
(Bild: "Elvira Mistress Of The Dark" von AyyaSAP)
Irgendwo, an einem geheimen Ort, fand ein Treffen
der ganz besonderen Art statt. Von fünf Teilneh-
mern war nur gerade einer menschlich, und dieser
war der Initiant des Treffens, ein gefährlicher
Schwarzmagier, bekannt als Professor Anton
Warpen. Bei den anderen vier Gestalten handelte
es sich um keine Geringeren als Mephisto und
Luzifer, zwei der Herren der Hölle, den unsterb-
lichen Vlad Dracul Basarab, besser bekannt als
Graf Dracula, Herr der Vampire und Lilith, Dämo-
nin und Ur-Vampirin, die wie immer in Begleitung
ihrer Schlange war.
"Es freut mich, dass unser Treffen zustande kam",
ergriff Professor Warpen das Wort. "Bislang hatten
wir einzeln in dieser Sache keinen Erfolg, aber
wenn wir zusammen arbeiten..."
An dieser Stelle stockte er kurz. Er wusste, dass
diesen Gestalten nicht zu trauen war, und er wusste
auch, dass sie ihm nicht trauten. Aber die Sache
war zu wichtig, um sie allein anzugehen. Und
sollte sie von Erfolg gekrönt sein, so wusste er
auch, wie er seine eigenen Pläne in die Tat um-
setzen konnte...
Weit entfernt, an einem sehr viel bekannteren und
angenehmeren Ort, nämlich in Destiny Mansion,
dem Anwesen des Okkultisten Dr. Hiram Destiny
im New Yorker Künstlerviertel Greenwich Village,
war der Hausherr gerade dabei, die speziellen
Kräfte seiner Assistentin Joy Sweater zu untersu-
chen. Die kleine, rundliche Joy Sweater, optisch
das genaue Gegenteil des schlaksigen Doktors,
war nämlich keine normale Frau. Nein, Joy Swea-
ter war die Soulmaid, die Trägerin einer Kraft,
die Seelenessenz genannt wurde und von der nur
wenig bekannt war, beispielsweise dass sie wohl
himmlischen Ursprungs war. Sie verstärkte das
Gute in ihrer unmittelbaren Umgebung, sorgte
dafür, dass Joy niemals fror- ausser es waren Dä-
monen, Geister oder Vampire in der Nähe- und
verlieh ihr übermenschliche Kraft und heileri-
sche Fähigkeiten. Auf diese Seelenessenz kon-
zentrierte sich Joy nun, wie sie da im grossen
Wohnzimmer von Destiny Mansion stand, um-
geben von einem hellen Leuchten, das von ihr
selbst ausging. Dr. Destiny selbst sass in einem
Sessel, beobachtete das Ganze und machte sich
Notizen.
"Es scheint, dass Ihre Kraft, das Gute zu verstär-
ken, mächtiger geworden ist", meinte er. "Die
negativen Energien, die vorher in diesem Raum
waren, sind wie weggeblasen."
Joys Konzentration liess nach, sie entspannte sich
wieder und das Leuchten verschwand.
"Mag sein", sagte sie. "Aber diesen Teil meiner
Fähigkeiten bewusst einzusetzen ist anstrengend."
"Ich weiss", machte Destiny. "Aber es scheint der
wichtigste Teil Ihrer Fähigkeiten überhaupt zu sein,
und deshalb sollten wir gerade ihn trainieren. Wir
wissen leider nie, wann das Böse erneut angreift..."
In diesem Moment klirrte Fensterglas und durch
die Scheiben des Wohnzimmers flogen riesige
Fledermäuse, hunderte davon.
"Was ist das denn?" schrie Joy und bückte sich,
doch eine der Fledermäuse biss sie in den Hals.
"Vampirfledermäuse!" schrie Destiny, um dann,
etwas leiser zu deklamieren: "So weit nördlich
sollten die doch gar nicht vorkommen."
Er formte seine Hände zu einem magischen Zei-
chen, errichtete dadurch ein unsichtbares Kraft-
feld um sich und seine verletzte Assistentin.
Die Fledermäuse prallten daran ab und flogen
aus dem Fenster, durch das sie gekommen waren,
zurück.
"Magisch veränderte Vampirfledermäuse", er-
kannte Destiny. "Wusst' ich doch, dass allein
schon von der Grösse her was nicht stimmen
konnte."
Als er sicher war, dass alle Fledermäuse weg
waren, hob er das Kraftfeld wieder auf und
sah nach Joy. "Das sieht übel aus", meinte er.
"Mit etwas Anstrengung", sagte sie mit zusam-
mengebissenen Zähnen, "kann ich meine Selbst-
heilungskräfte so weit aktivieren, dass es eini-
germassen geht. Aber es ist eine heikle Stelle."
"Irgendjemand muss die Viecher auf uns gehetzt
haben", meinte Destiny. "Ich werde mal die
Kristallkugel dazu befragen."
"Doc...", sagte Joy.
"Ja?"
"Rufen Sie doch zuerst einen Glaser an."
Die Fledermäuse waren inzwischen an den Ort
zurückgeflogen, von dem sie gekommen waren
und wurden dort von Dracula und Lilith empfan-
gen.
"Hoffentlich haben sie, was sie holen sollten",
meinte Lilith.
"Diese hier hat es", meinte Dracula, dessen ge-
schärfte Sinne ihm den Geruch von Blut anzeig-
ten. "Einen Tropfen Blut von der Soulmaid."
Er drehte der Fledermaus den Hals um und liess
das Blut in einen Kelch fliessen. Diesen brach-
ten sie zu Professor Warpen.
"Sehr gut", meinte dieser. "Damit können wir
unsere eigene Seelenessenz extrahieren."
Dr. Destiny hatte diese Szene in seiner Kristall-
kugel beobachtet und meinte: "Das ist übel.
Das ist sogar sehr übel."
"Dracula ist schon lange hinter der Seelenessenz
her, weil er sich davon Heilung verspricht",
sagte Joy, die sich inzwischen wieder erholt
hatte. "Aber was will Warpen damit?"
"Warpens Ziel ist die Auslösung der Apokalypse",
erklärte Destiny. "Ich möchte mir gar nicht aus-
malen, zu was er fähig ist, wenn ihm eine solche
Macht in die Hände fällt."
Da ertönte hinter ihnen eine flüsternde Grabes-
stimme: "Vielleicht wüsste ich, wie ihr dagegen
antreten könnt."
Destiny und Joy drehten sich um und blickten in
das hässliche, grinsende Antlitz von Mephisto.
"Du gehörst doch zur Gegenseite", sprach Destiny
ihn an. "Weshalb sollten wir dir trauen?"
"Weil ich gute Gründe habe, meine Mitstreiter zu
hintergehen", meinte Mephisto. "Luzifer und ich
streiten schon lange um die Vorherrschaft in der
Hölle. Als gefallener Engel hat die Seelenessenz
auf ihn viel mehr Einfluss. Er würde dadurch zu
mächtig für mich werden. Und ausserdem", fügte
er noch hinzu, "bin ich von Natur aus betrügerisch
veranlagt."
"Also gut", knurrte Destiny, der dem Dämonen
keinen Deut weit traute. "Lass hören."
"Ganz einfach", grinste dieser. "Die Seelenessenz
kann das Gute um ein Vielfaches verstärken. Das
macht sie bei uns Dämonen ja so verhasst. Wenn
ihr es schafft, dass sie diese Macht selber anwen-
den, erkennt die Essenz sie als falsche Träger und
wendet sich gegen sie."
Nach diesen Worten verschwand der Dämon, löste
sich in Luft auf und nur ein unangenehmer Geruch
nach Schwefel zeugte noch von seinem Besuch.
"Wir wissen leider nicht, wo sie sich verstecken",
meinte Destiny. "Aber vielleicht hilft uns auch hier
die Kristallkugel weiter."
Er blickte in diese und sah darin ein Schloss, das
ihm bekannt vorkam.
"Sie sind in den Karpaten", sagte er zu Joy, "im
Schloss derer von Basarab. Mit dem Dimensionen-
tor schaffen wir es vielleicht dorthin, bevor sie sich
die Essenz einverleibt haben."
Das Dimensionentor sah von aussen aus wie ein gros-
ser runder Spiegel, doch konnte man durch es hin-
durch an jeden Ort der Welt und sogar in andere Di-
mensionen gelangen. Destiny hatte es selber erfunden.
Er und Joy traten hindurch und materialisierten bald
darauf in Schloss Basarab, wo die Bösen bereits auf
sie warteten. Die Auren, die von ihnen ausgingen,
schienen kraftvoller als gewohnt zu sein.
"Ich fürchte, wir sind bereits zu spät", meinte Destiny.
"Jaaa!" triumphierte Dracula. "Endlich habe ich es
geschafft! Unsterblichkeit! Unverwundbarkeit! Super-
kraft! Kein Blutdurst mehr! Und weder die Sonne
noch das Kreuz können mir noch etwas antun."
Mit diesen Worten verwandelte er sich in eine Fleder-
maus und flog davon, nicht ohne sich noch an seine
Verbündeten zu wenden: "Mit euren weiteren Plänen
habe ich nichts mehr am Hut. Macht mir hier nur
nicht zu viel kaputt, bevor ich zurück bin."
"Wieso kann er sich noch immer verwandeln?" fragte
Joy.
"Möglicherweise erlernte Dracul die Kunst der Lykan-
thropie bereits, ehe er zum Vampir wurde", erklärte
Destiny.
"Ihr habt noch ganz andere Probleme als dieses", er-
klang von hinten Liliths Stimme, während ihre ständi-
ge Begleiterin, eine riesige Schlange, sich um Joys
Hals windete. Glücklicherweise verfügte Joy, dank
der Seelenessenz, über gewaltige Kraft, so dass sie
sich des Kriechtiers erwehren konnte.
"Das wird dir nicht viel bringen", drohte Lilith. "Zum
Einen bin ich eine Dämonin, und schon daher mächtig,
zum Anderen verfüge ich nun auch über Seelenessenz."
Und sie begannen einen Art Ringkampf, einem Frauen-
catchen nicht unähnlich, wären die beiden Kämpfenden
nicht optisch so völlig unterschiedlich gewesen. Auf
einer Seite die hochgewachsene, hagere Dämonin, auf
der anderen Seite die untersetzte Soulmaid.
Aber auch Destiny hatte einiges zu tun, musste er sich
doch gegen den erstarkten Luzifer zur Wehr setzen,
gegen den seine Abwehrmagie kaum noch etwas aus-
zurichten vermochte.
"Endlich wird das Böse triumphieren!" erschallte des
Dämons hallendes Organ. "Das Gute wird vernichtet
werden!"
Da erinnerte Destiny sich daran, was Mephisto ihm ver-
raten hatte, und er hatte eine Idee.
"Du bist ein Narr, Luzifer!" rief er dem Dämon zu. "Das
Böse kann ohne das Gute gar nicht existieren! Denn
wer sollte entscheiden, was recht und was falsch ist? Es
sind zwei Seiten von einer Medaille!"
Luzifer hielt inne und dachte nach. "Verdammt", knurrte
er dann. "Du hast recht, Menschlein. Meine eigene Exi-
stenz zu gefährden- das lasse ich nicht zu!"
Und als ob er genau wusste, was geschehen würde, schien
Luzifer ausgerechnet jene Kraft der Seelenessenz zu ak-
tivieren, die ihn seinen Triumph kosten würde. Ein helles
Leuchten ging von ihm aus, ein Leuchten, das seit seiner
Revolution im Himmel wohl nie mehr von ihm ausgegan-
gen war, doch gleichzeitig wand der Dämon sich vor
Schmerzen, bis er sich schliesslich hinwegteleportierte.
Joy aber fühlte in diesem Moment eine Kraft in sie zu-
rückströmen, die sie vermisst hatte, was dazu führte, dass
sie- unter grösster Kraftanstrengung zwar, aber immer-
hin- ihre Gegnerin bezwang.
"Wolltest du nicht immer ein Kind mit dem Doc zeugen?"
fragte sie, als Lilith am Boden lag. Tatsächlich wollte
Lilith Destiny schon lange verführen, da das Kind einer
so alten Dämonin und eines so mächtigen Weissen Ma-
giers enorm mächtig werden würde, doch bislang hatte sie
damit nie Erfolg gehabt. "Glaubst du wirklich", fuhr Joy
weiter, "dass ein solches Kind so mächtig werden würde,
wären nicht beide Seiten in ihm vereint: das Gute und das
Böse?"
"Du verdammte ...!" Lilith fand die Worte nicht, doch sie
tat genau das, was Joy bezweckt hatte. Auch sie richtete
die Seelenessenz gegen sich selbst und entschwand. Und
Joy fühlte sich noch einmal etwas stärker.
Dracula war zwar auf und davon, doch zwei Bösewichte
galt es immer noch zu bezwingen: Professor Warpen und
Mephisto.
"Warpen", wandte Destiny sich an seinen langjährigen
Feind.
"Egal, was du sagst, Destiny", unterbrach ihn dieser, "es
wird nichts nutzen. Ich habe die Seelenessenz nicht bei
mir angewandt. Im Gegensatz zu den Anderen waren mir
die Risiken bewusst, die mit ihrem Gebrauch einher gehen."
"Bleibt immer noch ein anderes Problem", meinte Joy und
trat auf Mephisto zu.
"Das werdet ihr wohl ein andermal lösen müssen", meinte
dieser und materialisierte sich weg. Joy stockte. Etwas
war diesmal anders. Sie wollte Destiny darauf hinweisen,
doch der war gerade in einem Zauberduell mit Warpen
und musste sich darauf konzentrieren. Es schien, als ob
Destiny unterliegen würde. Der Kampf gegen den stärker
gewordenen Luzifer hatte ihn geschwächt, so dass War-
pen leichtes Spiel zu haben schien. Aber Joy wusste, wie
sie Destiny helfen konnte. Sie nahm all ihre Konzentra-
tion zusammen, stellte sich hin und begann, das helle
Leuchten auszustrahlen, das anzeigte, dass die Seelen-
essenz aktiviert wurde. Sie merkte, dass ein Teil davon
fehlte- jener, der mit Dracula weggeflogen war-, doch
der verbleibende Rest reichte immer noch aus, um De-
stiny zu stärken, so dass dieser schliesslich doch noch
über Warpen triumphierte.
"Na gut", knurrte dieser, als er merkte, dass er keinen
Stich mehr hatte. "Ich habe verloren. Dabei hätte es
so gut laufen können... Mit einem Luzifer an meiner
Seite, der über die Seelenessenz verfügt hätte..."
Blitschnell drehte er sich um und sprang aus dem
Fenster. Destiny und Joy rannten zu diesem, doch
vom Professor war keine Spur mehr zu sehen.
"Wo ist er hin?" fragte Joy.
"Er will wohl, dass wir ihn für tot halten", mutmasste
Destiny. "Aber ich kenne diese Tricks. Solange Anton
Warpens Leichnam nicht von mir persönlich unter-
sucht wurde, gehe ich davon aus, dass er noch immer
irgendwo unter uns weilt und neue Pläne schmiedet.
Gehen wir nach hause. Wir können hier nichts mehr
tun. Was ist mit Dracula?"
"Soll er seinen Teil der Essenz ruhig behalten", meinte
Joy. "Nun, da er nicht mehr auf Blut angewiesen ist,
dürfte er wohl kein Problem mehr darstellen."
"Das ist sehr nobel von Ihnen. Aber Dracul war schon
böse, bevor er zum Vampir wurde. Ich fürchte, wir
werden es trotz dieser Veränderung wieder mit ihm
zu tun kriegen."
"Etwas anderes fand ich seltsam", sagte Joy.
"Was denn?"
"Als Mephisto wegteleportierte, fühlte mein Zustand
sich genau gleich an wie zuvor, während bei den an-
deren je ein Teil der Seelenessenz zu mir zurück-
kehrte... Ist das, weil er sie nicht angewendet hat?"
"Vielleicht", meinte Destiny. "Da ich bei Mephisto
aber keinerlei Veränderung in der Präsenz wahrge-
nommen habe, glaube ich an eine andere Erklärung:
Er tat es wie Warpen und hat die Seelenessenz nicht
angerührt."
"Das verstehe ich nicht", meine Joy.
"Wahrscheinlich plante er von Anfang an, die Andern
zu verraten", erklärte Destiny. "Mephisto ist sehr
schwer zu durchschauen. So oder so, wir sollten auf
der Hut sein."
Und nach diesen weisen Worten machten sich die Bei-
den auf den Heimweg.
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