Sonntag, 29. September 2019
Kurzgeschichte: "Feen-Anarchie"
(Zeichnung von Milonas Dionisis)
Inspector Beaumont kniete über der Leiche.
"Das ist schon das fünfte hohe Tier, das innerhalb
von zwei Wochen dran glauben musste", knurrte
er. Er klang immer ein bisschen knurrig. "Und
immer ist das Anarchiezeichen auf die Leiche ge-
streut. Nur wissen wir immer noch nicht, was das
für ein spezieller Sand ist, mit dem es gezeichnet
wurde."
"Vielleicht kann ich Ihnen da weiterhelfen", erklang
eine Stimme von der Tür her.
Beaumont drehte sich um. Da stand ein grosser,
schlanker, schon etwas älterer Herr mit einem
Schnurrbart im Gesicht und einem Pentagramm
um den Hals. In seiner Begleitung war eine deut-
lich jüngere, kleine und mollige Brünette.
"Wer sind Sie?" fragte Beaumont. "Und wer hat
Sie hier reingelassen? Das ist ein Tatort."
"Ich bin Dr. Hiram Destiny", stellte der Mann sich
vor. "Und die Dame hier ist meine Assistentin Joy
Sweater. Und wer mich hier rein liess? Nun, ich
habe gute Argumente, warum wir hier sind."
"Chef", meldete sich eine hübsche farbige Poli-
zistin namens Marlene Grant zu Wort. "Ich kenne
Dr. Destiny von einem früheren Fall her. Er kommt
sicherlich nicht ohne Grund an so einen Ort."
"Na gut", knurrte Beaumont und wandte sich an
Destiny. "Erzählen Sie, was Sie zu sagen haben."
"Nun, ich habe diesen Fall in den Zeitungen ver-
folgt", begann Destiny, "und da stiess ich auf Hin-
weise, die einen okkulten Hintergrund vermuten
lassen. In diesem Bereich bin ich Experte und
würde Ihnen daher gerne meine Hilfe anbieten."
"Miss Grant?" wandte Beaumont sich an seine
Polizistin. "Ist das einer dieser Hellseher-Spinner?"
"Keineswegs, Chef", antwortete Marlene Grant
und erklärte: "Dr. Destiny ist studierter Okkulto-
loge, Dämonologe, Kryptozoologe und weiss
über alle Arten von Magie Bescheid. Wenn die-
ser Fall einen okkulten Hintergrund haben sollte,
können wir keine bessere Hilfe bekommen."
"Also gut", meinte Beaumont und wandte sich
wieder an Destiny. "Wie, denken Sie, könnten
Sie uns helfen?"
"Noch weiss ich nicht, ob ich richtig liege", meinte
Destiny. "Deshalb würde ich gerne diesen ominö-
sen Sand untersuchen, mit dem das Anarchiezei-
chen geschrieben wurde. Danach weiss ich mehr."
"Na gut", knurrte Beaumont und rief seinen Leuten,
die noch immer bei der Leiche standen und diese
untersuchten, zu: "Lasst ihn mal ran und gucken!"
"Vielen Dank", sagte Destiny und kniete sich neben
der Leiche hin. Er berührte ganz leicht etwas von
dem Sand und nickte. "Wie ich es vermutet habe.
Feenstaub."
"Feenstaub?" fragte Beaumont ungläubig.
"Feenstaub, genau. Es kann unmöglich ein Täuschungs-
manöver sein, da Feenstaub nicht so einfach zu erhal-
ten ist. Die Morde wurden durch eine Fee begangen."
"Und so was Hirnverbranntes soll ich glauben?" meinte
Beaumont.
"Ich glaubte früher auch nicht an das Uebersinnliche",
meldete Grant sich zu Wort. "Aber seit ich damals diesen
Fall hatte, als ich erstmals mit Dr. Destiny zusammen ar-
beitete, hat sich das grundlegend verändert. Aber gehören
Feen nicht zu den Guten?"
"Es gibt ebenso viele böse wie gute Feen", antwortete
Destiny, "und einige unter ihnen sind durchaus in der
Lage, Morde zu begehen. Vielleicht können uns Verbün-
dete im Feenreich weiterhelfen."
"Haben wir dort denn welche?" fragte Joy.
"Aber natürlich." Dr. Destiny lächelte. "Sogar sehr hoch-
stehende. Das Herrscherpaar über das Feenreich: Oberon
und Titania."
Durch ein Dimensionentor, das Destiny magisch geöff-
net hatte, gelangten er und Joy an eine Waldlichtung, die
von einer geheimnisvollen Wirkung war. Mitten in der
Lichtung standen zwei Thronsessel, auf einem sass ein
Feenmann, auf dem anderen eine Feenfrau. Oberon und
Titania, die Herrscher des Feenreichs.
"Hiram Destiny", sprach Oberon. "Was führt dich zu uns?"
"Feenstaub auf menschlichen Leichen in unserer Welt",
antwortete Destiny. "Ein A in einem Kreis, in unserer
Welt das Zeichen für Anarchie."
"Sie ist also wieder da", warf Titania ein.
"Wer ist wieder da?" fragte Destiny.
"Die Fee, deren Ideen die Anarchie überhaupt erst in die
Köpfe der Menschen gebracht hat", antwortete Oberon,
"die Fee namens Anarky. Sie rebellierte gegen unser
Herrschaftssystem und wurde daraufhin aus unserer Di-
mension verbannt. Nun treibt sie also bei euch ihr Unwe-
sen."
"Sie hat mehrere Menschen ermordet", meldete Joy sich
zu Wort. "Dürfen Feen das überhaupt?"
"Ah, Destinys Assistentin", wandte Oberon sich ihr zu,
"von der ich schon gehört habe. Endlich lerne ich dich
persönlich kennen, Joy Sweater oder Soulmaid, wie man
dich auch nennt. Um deine Frage zu beantworten: Anar-
ky fragt nicht danach, was Feen dürfen und was nicht."
"Wie können wir sie finden?" fragte Destiny.
"Sie war sicherlich die ganze Zeit in der Nähe, als ihr das
letzte Opfer untersucht habt", vermutete Oberon. "Anarky
geniesst es, die Wirkung ihrer Taten heimlich zu beobach-
ten."
"Hätte ich dann nicht frieren müssen?" fragte Joy, sich auf
eine ihrer speziellen Fähigkeiten beziehend.
"Die Seelenessenz, die in dir ist, reagiert auf Dämonen,
Vampire und Geister, Joy Sweater", erklärte Titania, "nicht
aber auf Feen. Feen und Elfen sind nicht von sich aus bö-
se und auch nicht tot, sondern Naturgeister. Da die Seelen-
essenz stark mit der Natur verbunden ist, nimmt sie Feen
nicht als Bedrohung wahr, auch dann nicht, wenn sie eine
sind."
"Das macht die Sache schwieriger", meinte Joy.
"Wir werden Anarky herausfordern", sagte Destiny. "Keh-
ren wir zurück zum Tatort."
Durch einen Zauber öffnete sich ein Portal, durch das De-
stiny und Joy traten.
Kurz darauf materialisierten sie sich wieder am Tatort.
"Das ist echt schräg", meinte Inspector Beaumont.
"Wir wissen nun, wer dahinter steckt", sagte Destiny,
"und dass sie noch in der Nähe sein muss. Anarky!"
Seine Stimme wurde lauter. "Anarky! Zeige dich! Wir
wissen, dass du hier irgendwo sein musst!"
Kurz darauf kam eine seltsame weibliche Gestalt in
den Raum geschwebt. Sie war grösser als man sich
eine Fee sonst vorstellt, schlank und einigermassen
attraktiv, wenn auch von einer bleichen Gesichtsfarbe.
Auf dem Kopf trug sie eine Art Haube, sie war spärlich
bekleidet, trug aber einen Umhang. In der Hand hielt
sie eine Art Zepter.
"Hiram Destiny", sprach sie. "Ich habe natürlich schon
von dir gehört. Aber niemand sagte mir, dass du obrig-
keitshörig wärst."
"Mord hat nichts mit Obrigkeitshörigkeit zu tun", knurrte
Destiny.
"Warum lässt man mich nicht einfach machen?" fragte
Anarky. "Ich möchte doch nur, dass alle Wesen in Frei-
heit leben können."
"Aber mit den falschen Methoden", erwiderte Destiny.
Inspector Beaumont zog seine Dienstwaffe.
"Nein", schrie Destiny ihn an. "Das nützt nichts! Aber
geben Sie mir Ihre Handschellen!"
"Wozu das denn?" fragte Beaumont.
"Tun Sie es, schnell!" rief Marlene Grant, die bemerkt
hatte, dass Anarky sich nun Joy zuwandte und sie mit
magischen Strahlen aus ihrem Zepter zu treffen versuch-
te. Joy aber konzentrierte sich, bis von ihrem Körper ein
helles Leuchten ausging, das sie zu beschützen schien,
jedenfalls gerieten die Strahlen nicht an sie heran.
Beaumont gab Destiny seine Handschellen und dieser
warf sie der Fee an. Als diese mit den Schellen in Kon-
takt geriet, schrie sie schmerzverzerrt auf und... ver-
schwand!
"Wo ist sie hin?" fragte Beaumont.
"Vorläufig gebannt", erklärte Destiny. "Das einzige Mate-
rial, das Feen besiegen kann, ist Eisen. Ich würde also
dazu raten, auf diese Dinger..." Er reichte Beaumont seine
Handschellen zurück.
"Gut aufzupassen, ich versteh' schon", beendete Beaumont
den Satz. "Ist es wirklich überstanden?"
"Sie braucht Zeit, um sich zu erholen, aber sie könnte irgend-
wann in den nächsten Jahren zurückkehren", antwortete De-
stiny. "Bis dahin aber brauchen wir uns keine Sorgen zu ma-
chen."
"Unglaublich", knurrte Beaumont und kratzte sich am Kopf,
dann meinte er: "Ich werde nie mehr am Uebersinnlichen
zweifeln."
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