Donnerstag, 18. Juni 2020

Aufzeichnungen eines Aussenseiters, 18.6.2020

Red Skull (Johann Schmidt).png
(Zeichnung von Steve Epting)

Bei DC Comics läuft zurzeit das serienübergreifende Crossover-
Event "Das Jahr des Schurken", was heisst, dass einige der
bekannten DC-Schurkenfiguren wohl mal etwas genauer unter
die Lupe genommen werden. Für mich als Comicfan Grund ge-
nug, dieses Jahr mal einige der bekanntesten Schurken aus Co-
mic, Film und Literatur zu analysieren. Klar, das ist eine völlig
subjektive Analyse und keineswegs wissenschaftlich, aber es
könnte durchaus interessant sein. Diesmal möchte ich mich zum
ersten Mal mit einem Schurken befassen, der nicht aus dem DC-
Universum stammt, sondern von deren Konkurrenzverlag Mar-
vel. Wobei das nicht ganz stimmt, denn 1941, als Joe Simon und
Jack Kirby, diese Figur erfanden, gab es Marvel noch gar nicht,
wohl aber den Vorgänger-Verlag Timely. Die Rede ist von Cap-
tain Americas Erzfeind, dem Red Skull.
Bisher hatten wir den Joker, den Riddler, Professor Hugo Strange,
Lex Luthor und Scarecrow, und bei einigen von ihnen ist ihre
Herkunftsgeschichte sogar nachvollziehbar. Beim Red Skull aber
fehlt dieser Aspekt. Der Red Skull ist ein Nazi, und das macht es
noch schwieriger, sich irgendwie in diese Figur hineinversetzen
zu können. Es ist mir geradezu unmöglich, so sehr steht diese Fi-
gur für Ideen und Ideologien, die ich verabscheue. Ich glaube,
dass dies Simon und Kirby durchaus bewusst war, als sie den Red
Skull erfanden, dass diese Figur bewusst sehr eindimensional ge-
staltet wurde. Der Red Skull ist eine Schurkenfigur, die kaum
anders betrachtet werden kann denn als Relikt jener Zeit, die ihn
hervorbrachte, bzw. in welcher er erfunden wurde. Es war die
Zeit, als die USA in den Zweiten Weltkrieg eintraten, und es war
gang und gäbe, dass dies auch in den Comics thematisiert wurde.
Superman haute Adolf Hitler auf einem Heftcover sogar persön-
lich auf die Fresse. Doch wenn es einen Helden gab, der mehr
als jeder andere diese Zeit und vor allem die Propaganda der
USA repräsentierte, dann war es Captain America. Captain Ame-
rica war nicht nur die Geschichte eines Mannes, der für sein Land
in den Krieg zog, diese Heldenfigur wurde auch ganz bewusst ein-
gesetzt, um junge Menschen zu diesem Zweck zu gewinnen.
Wenn wir die Weltlage damals betrachten und wissen, dass Jack
Kirby jüdische Wurzeln hatte, dann wird klar, dass ein Nazi-
Schurke wie der Red Skull ein Feindbild bediente, das wirklich
ein Feindbild sein sollte. Spätere Marvel-Schurken wie Magne-
to oder Morbius haben durchaus ihre menschlichen Seiten, ihre
sympathischen Züge und Beweggründe, die sogar nachvollzieh-
bar sind. All dies fehlt beim Red Skull. Allerdings gab es im Lau-
fe der Zeit mehrere Versionen des Red Skull. Der allererste Red
Skull war einfach nur ein amerikanischer Nazi-Sympathisant,
der eine Maske trug, die einen roten Totenschädel darstellte.
Diese Version wurde aber schon bald gegen den Red Skull ein-
getauscht, den wir heute noch kennen: einen deutschen Nazi
namens Johann Schmidt, der direkt Adolf Hitler unterstellt war
und der dasselbe Supersoldatenserum in seinem Blut hat wie
Captain America, weshalb er ihm körperlich sogar ebenbürtig
ist. Allerdings ging bei Schmidt etwas schief, das Serum zeig-
te Nebenwirkungen, weshalb sein Kopf das Aussehen eines
roten Totenschädels annahm. Der Red Skull braucht also kei-
ne Maske mehr für sein charakteristisches, namengebendes
Merkmal. Er war Mitbegründer der Terrororganisation HY-
DRA, die er sogar anführte und mit der er seine Nazi-Ideolo-
gie weiterhin verbreitet und versucht, die Weltherrschaft zu
übernehmen. Dass der Red Skull nach so vielen Jahren noch
immer sein Unwesen treibt, liegt auch daran, dass er durch
das Supersoldatenserum langsamer altert, wie dies auch bei
Captain America, Nick Fury, (der das Serum ebenfalls in sich
hat), Wolverine und Sabretooth der Fall ist; bei letzteren bei-
den liegt es aber an ihren natürlichen Mutationen.
Während der Zeit der Kommunistenhetze trat ein anderer Red
Skull auf den Plan, aus der Nazifigur wurde ein kommunisti-
scher Schurke gemacht. Zu dieser Zeit agierte auch Captain
America anders, ging brutaler vor, was von vielen Lesern
allerdings nicht gut geheissen wurde. Später wurde das da-
mit erklärt, dass damals ein Anderer, nicht der eigentliche
Cap Steve Rogers, das Kostüm getragen hätte. Mit dem Zu-
sammenbruch der Sowietunion, spätestens aber mit dem
Fallen des Eisernen Vorhangs, war das Feindbild Russland
nicht mehr aktuell. Der echte Captain America war nun wie-
der am Start, ebenso wie der echte Red Skull, nämlich Jo-
hann Schmidt. Die Gefährlichkeit des Red Skull liegt nicht
nur in seiner Ideologie und dem Supersoldatenserum, son-
dern ganz besonders in seinem Intellekt; er ist ein gerisse-
ner Pläneschmied, der auch oft aus dem Verborgenen heraus
agiert. Und obschon sein Erzfeind Captain America ist, gibt
es Figuren, die sogar noch mehr Grund haben, den Red Skull
zu hassen. So war er bspw. verantwortlich für den Tod der
US-Agenten Richard und Mary Parker, den Eltern von Spider-
Man Peter Parker. Und sogar bei den Schurken ist der Red
Skull eher unbeliebt. Während etwa Dr. Doom und der Man-
darin ihn lediglich als lästige Konkurrenz im Kampf um die
Weltherrschaft ansehen, hat Magneto, der das Elend der Kon-
zentrationslager selber miterlebt hatte, verständlicherweise
einen sehr tiefsitzenden Hass gegen diesen Mann. Wenn es
je einen Schurken gab, der wirklich ein Schurke ist- und der
garantiert niemals zu einem Sympathieträger oder einem An-
tihelden umfunktioniert werden wird-, weil dann die ganze
Charakteristik dieser Figur nicht funktionieren würde-, dann
ist es der Red Skull...

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