Freitag, 19. Juni 2020
Aufzeichnungen eines Aussenseiters, 19.6.2020
Bei DC Comics läuft zurzeit das serienübergreifende Crossover-
Event "Das Jahr des Schurken", was heisst, dass einige der
bekannten DC-Schurkenfiguren wohl mal etwas genauer unter
die Lupe genommen werden. Für mich als Comicfan Grund ge-
nug, dieses Jahr mal einige der bekanntesten Schurken aus Co-
mic, Film und Literatur zu analysieren. Klar, das ist eine völlig
subjektive Analyse und keineswegs wissenschaftlich, aber es
könnte durchaus interessant sein. Diesmal möchte ich mich mit
einem der sympathischeren Vertreter aus Batmans langer Liste
von Gegnern befassen, jedenfalls in seiner ursprünglichen Ver-
sion: dem Pinguin.
Oswald Chesterfield Cobblepot entstammt einer der ältesten
Familien von Gotham City, wuchs aber dennoch in eher ärmli-
chen Verhältnissen auf. Seine Mutter führte eine Tierhandlung,
sein Vater war verstorben; seine Mutter war der Überzeugung,
er hätte seinen Tod dadurch gefunden, dass er bei Regen keinen
Schirm dabei hatte. Überfürsorglich wie sie war, hielt sie ihren
Sohn dazu an, stets einen Regenschirm mit sich zu führen. Das
machte Oswalds Kindheit und Jugend nur noch schwieriger.
Schon immer klein und pummelig und mit einer langen Nase
im Gesicht, noch dazu stets elegant gekleidet und wegen einer
Fussfehlstellung mit einem Watschelgang unterwegs, wurde er
von den anderen Kindern gehänselt und "Pinguin" genannt. Die
einzigen Lebewesen, denen er sich verbunden fühlte, da sie ihn
akzeptierten und nie enttäuschten, waren die Vögel im Laden sei-
ner Mutter. Oswald Cobblepot ist seit seiner Kindheit ein grosser
Vogelliebhaber. Der Moment, der dazu führte, dass Oswald krimi-
nell wurde, war wohl derjenige, als der Laden behördlich dicht-
gemacht wurde, da die Rechnungen nicht mehr bezahlt werden
konnten; Oswald verlor dadurch seine einzigen Freunde. Wäre
sein Leben anders verlaufen, er hätte eine rechtschaffene Karrie-
re machen können; immerhin verfügt er über eine ausgesprochen
hohe Intelligenz. Aber Oswald entschied sich für eine kriminelle
Karriere- und das Pläne schmieden liegt ihm, egal, ob er nun sel-
ber aktiv wird oder aus dem Hintergrund heraus die Fäden zieht.
Intellektuell ist er dem Riddler, mit dem er sich sogar ziemlich
gut versteht, ebenbürtig. Und der Pinguin ist einer der wenigen
Schurken, für den sich seine Verbrechen mit der Zeit gelohnt
haben. Er schaffte es, sich ein Vermögen zu ergaunern und ver-
lagerte seine kriminellen Aktivitäten auf eine neue Ebene. Er
gründete einen exklusiven Nachtclub, die Iceberg Lounge, von
wo aus er sich vordergründig als seriöser Geschäftsmann gibt,
im Hintergrund aber weiterhin in alle möglichen schmutzigen
Geschäfte involviert ist. Da er hin und wieder auch als Infor-
mant tätig ist, lässt Batman ihm einiges mehr durchgehen als
einigen anderen Schurken; er hat aber immer ein wachsames
Auge auf den Pinguin. Trotz einer Reihe von Gimmick-Re-
genschirmen, von denen einige als getarnte Schusswaffen fun-
gieren, ist der Pinguin einer der weniger brutalen Schurken von
Gotham City; er ist kein verrückter Psychopath wie der Joker
und kein ambivalenter Charakter wie Two-Face, auch wenn er
gelegentlich ein doppeltes Spiel treibt. Viele andere Schurken
arbeiten sehr gut mit dem Pinguin zusammen, für Catwoman
beispielsweise ist er als Hehler tätig, und sie schätzt seine ge-
pflegten Umgangsformen. Tatsächlich ist der Pinguin in seiner
ursprünglichen Version ein Gentleman. Unter Batmans Gegner
hat der Pinguin die Rolle des Gentleman-Gauners inne, ein
Typus, der in Krimis und Gangsterkomödien immer wieder
gerne verwendet wird. Wie viele klassische Batman-Gegner
kann auch der Pinguin als archetypische Figur betrachtet wer-
den. Leider wurde diese Figur in den frühen 1990ern zunichte
gemacht. Der Pinguin war für mich immer eine der mensch-
lichsten Figuren unter Batmans Gegenspielern, und nicht
einmal die eher humoristische Darstellung von Burgess Mere-
dith in der Batman-Serie konnte das ändern. Dann kam Tim
Burtons Film "Batmans Rückkehr". Die Geschichte wäre
einigermassen okay gewesen, und Danny DeVito hätte als
Pinguin rein optisch auch gepasst- aber leider hat Burton
den Charakter des Pinguins nicht verstanden. Der Gentleman-
Gauner Oswald Cobblepot wurde umgeschrieben zu einem
missgestalteten Ungeheuer, einem weiteren der zahlreichen
brutalen und gewissenlosen Freaks, die Gotham City bevöl-
kern. Leider wurde diese Version des Pinguins danach auch
von einigen Comicautoren übernommen, und erst in den
letzten Jahren schien DC wieder mehr zum klassischen Pin-
guin zurückzufinden, auch wenn die derzeit häufigste Dar-
stellung des Pinguins eine etwas skurille Mischung aus bei-
den Darstellungen ist. Nein, Tim Burton und Danny DeVito
haben dem Pinguin nicht gut getan, und es ist zu hoffen,
dass spätere Regisseure diesen Charakter besser verstehen
werden. Wack!
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