Dienstag, 9. Juni 2020

Aufzeichnungen eines Aussenseiters, 9.6.2020

Joker (DC Comics character).jpg
(Zeichnung von Alex Ross)

"Ich lache, aber tief im Innern bin ich traurig." (Joker)

Bei DC Comics läuft zurzeit das serienübergreifende Crossover-
Event "Das Jahr des Schurken", was heisst, dass einige der
bekannten DC-Schurkenfiguren wohl mal etwas genauer unter
die Lupe genommen werden. Für mich als Comicfan Grund ge-
nug, dieses Jahr mal einige der bekanntesten Schurken aus Co-
mic, Film und Literatur zu analysieren. Klar, das ist eine völlig
subjektive Analyse und keineswegs wissenschaftlich, aber es
könnte durchaus interessant sein. Den Anfang machen wir mit
dem nach Meinung vieler grössten Schurken aller Zeiten. Nein,
die Rede ist diesmal nicht von Adolf Hitler, auch nicht von
Donald Trump oder dem Coronavirus- die Rede ist natürlich
vom Joker.

Der Joker trat erstmals in "Batman" Nr.1 von 1940 auf, er war
aber nicht Batmans erster Gegner. Der Fledermausmann hatte,
bevor er seine erste eigene Heftserie erhielt, bereits Abenteuer
auf den Seiten von "Detective Comics" erlebt und war dort be-
reits auf Dr. Death und Professor Hugo Strange getroffen, doch
erst mit dem Auftreten des Jokers wurde der grosse Reigen der
Batman-Gegner wirklich eröffnet. Aber wer ist der Joker?
Seine Herkunftsgeschichte wurde immer wieder und immer an-
ders erzählt, schon bei seinem ersten Auftritt hatte er sein grünes
Haar, sein kreideweisses Gesicht und das diabolische Grinsen.
Erfunden wurde der Joker von Bob Kane, Bill Finger und Jerry
Robinson, wobei bis heute nicht ganz klar ist, wer wie viel An-
teil an der Figur hatte. Erst 1951 wurde eine erste Entstehungs-
geschichte nachgeliefert. Derzufolge war der Joker ein mit einem
roten Helm maskierter Krimineller, der Red Hood genannt wurde
und bei einem Kampf mit Batman in einen Tank mit Säure fiel.
Dadurch färbte sich sein Haar grün, seine Haut weiss und er kam
zu seinem entstellten Grinsen. Er wurde verrückt, verlor den Ver-
stand. Aber stimmt das denn auch? Ist der Joker wirklich verrückt?
Diese Frage wurde von Comic-Lesern. Comic-Machern und so-
gar Psychologen immer wieder aufgeworfen und immer wieder
anders beantwortet. Der Joker ist ein Psychopath, der wahllos
und ohne mit der Wimper zu zucken, Leute umbringt und der
Freude am Chaos hat, insbesondere, wenn er es selber verursa-
chen kann. Aber der Joker kann durchaus sehr gerissen, nach
Plan vorgehen und seine Pläne beweisen immer wieder eine
überragende Intelligenz. Ist der Joker also einfach nur böse?
Auch diese Frage haben Comicautoren immer wieder anders
beantwortet, und gerade die Tatsache, dass die Vergangenheit
des Jokers im Dunkeln liegt, sorgte dafür, dass diese Figur im-
mer wieder "neu erfunden" wurde. Eigentlich ist der Joker ein
Archetyp, der Archetyp des "Bösen Clowns" oder "Killer-
clowns". Die nebst ihm bekannteste Figur dieses Archetyps
ist wohl Pennywise aus Stephen Kings "Es". Der Joker ist
aber auch ein Pendant zu Batman, wobei die sonst gängige
Symbolik von Licht und Schatten völlig umgekehrt wurde.
Statt des strahlenden Helden und des dunklen, grimmigen
Bösewichts haben wir hier einen dunklen, grimmigen Helden
und einen stets lächelnden Schurken. Dabei war den Erfindern
dieser Figur dies zunächst gar nicht wirklich klar, wollten sie
doch den Joker eigentlich am Ende der Geschichte sterben
lassen. Ihr Verleger hingegen sah das Potential dieser Figur
und liess sie den Schluss der Story umschreiben.
Die Verrücktheit des Jokers scheint oft als Argument dazu zu
dienen, wieso dieser Schurke sich im Laufe der Jahrzehnte
öfters verändert hat. Dies hatte aber seine Gründe eher im
gesellschaftlichen Umfeld, in dem diese Comics entstanden.
War der Joker zunächst ein Krimineller, der mehrere Leute
umbrachte (wobei er schon ganz am Anfang sein Joker-Gift
benutzte, das bei den Opfern ein erstarrtes Grinsen hinter-
lässt), wurde er später zu einem harmloseren Charakter de-
gradiert. Es war die Zeit, als Comics als schädlich angepran-
gert wurden, es kam zu Zensuren, man wollte die Geschich-
ten familienfreundlicher machen. Der Joker wurde zu einem
zwar immer noch kriminellen, aber verharmlosten "Spass-
charakter", dessen Verbrechen oft irgendetwas mit Humor
und bösen Scherzen zu tun hatten. Er gehörte, nebst dem
einige Jahre später auftretenden Riddler, zu den ersten the-
menbasierten Gimmick-Schurken, wie sie seither in den
Comics immer wieder auftauchten. Dies war aber nicht die
ursprüngliche Version dieses Charakters. Er hatte sein Jo-
ker-Gift, sein diabolisches Lachen, und er hinterliess bei
seinen Opfern eine Joker-Karte, aber seine Verbrechen wa-
ren durchaus ernst zu nehmen. Diese Gimmick-Schurken
wurden in der Batman-Fernsehserie der 1960er mit Adam
West so sehr auf die Spitze getrieben, dass die meisten
klassischen Batman-Gegner nur noch Parodien ihrer selbst
waren- und auf den Joker traf dies ganz besonders zu. Es
war das erste Mal, das der Joker auf Filmaufnahmen zu se-
hen war, gespielt von Cesar Romero. Dieser weigerte sich.
für die Rolle seinen Schnurrbart abzurasieren, da der für
sein Image als Latin Lover bezeichnend war. Dabei war
Romero zwar ein grosser Star, aber bereits in fortgeschrit-
tenem Alter und der Joker war eine seiner eher späteren
grossen Rollen. Der Schnäuzer wurde dann mit viel Schmin-
ke einfach überdeckt. Und obschon der Joker stets zu den
beliebtesten Schurken aus Batmans Schurken-Galerie ge-
hörte, wussten die Verantwortlichen der Serie mit ihm nicht
besonders viel anzufangen. Es dauerte bis 1989, bis wir end-
lich einen Joker sehen durften, welcher der Originalversion
näher kam: in Tim Burtons "Batman"-Verfilmung mit Mi-
chael Keaton spielte Jack Nicholson seine Glanzrolle. Der
Joker tötete nun auch wieder, und nicht nur das: Auch Über-
lebende seiner Angriffe litten noch jahrelang darunter. Zwei
seiner Taten zementierten seinen Status als Erzfeind des
Dunklen Ritters: die Verkrüppelung von Barbara Gordon
(in Alan Moore und Dave Gibbons' Klassiker "The Killing
Joke") und der Tod von Jason Todd, dem zweiten Robin,
den er zu Tode prügelte (im Dreiteiler "A Death In The Fa-
mily"). Zwar wurde beides später rückgängig gemacht,
Barbara konnte genesen und wieder als Batgirl agieren,
und Jason hatte irgendwie überlebt und kehrte als neuer
Red Hood zurück, doch diese Geschichten prägten das
Verhältnis von Batman zum Joker wie keine anderen bis
heute.
Und was ist mit den verschiedenen Filmversionen des Jo-
kers? Da der Joker selbst in den Comics immer wieder ver-
schiedene Stories über seine Herkunft erzählt, ist er für
Autoren ein gefundenes Fressen, um ihre eigene Geschich-
te um die Herkunft des Jokers zu spinnen. Während Tim
Burtons Verfilmung der klassischen Säuretank-Geschichte
folgte, erzählte der "Joker-Film mit Joaquin Phoenix eine
völlig andere Story. Und für die Serie "Gotham" wurde
eine ganz neue Figur verwendet, von der die Zuschauer
nur vermuten können, dass diese einmal zum Joker wird.
Jack Napier, Jerome Valenska oder Arthur Fleck- wie der
Joker richtig heisst, wurde ebenfalls nie aufgedeckt. Und
vielleicht macht dies Heath Ledgers Darstellung des Jo-
kers in "The Dark Knight" erst so richtig spannend. In
diesem Film ist der Joker einfach plötzlich da, man weiss
nicht, wer er ist und wo er herkommt, doch man muss
ihn fürchten... so wie ihn Bob Kane, Bill Finger und
Jerry Robinson einst konzipiert hatten. HA!

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