Sonntag, 9. August 2020

Kurzgeschichte: "Der Höllenhund von Huttwil"

Bildergebnis für rottweiler
Es war schon eine Weile her, dass ich die Bekannt-
schaft von Wachtmeister Glauser gemacht hatte,
deshalb erkannte ich ihn nicht gleich auf Anhieb,
als er in meinem Büro in der Gerechtigkeitsgasse
auftauchte. Und dies, obschon ich seinen Mittel-
scheitel und seine Art, seine Hose zu weit hochzu-
ziehen, nie wirklich vergessen hatte. Beides war
noch immer so geblieben, nur sein Gesicht war ein
bisschen älter geworden.
"Erinnern Sie sich noch an den Fall Schütz?" fragte
er.
"Das war doch diese Drogensache", versuchte ich,
mich zu erinnern.
"Genau", machte er. "Sie erinnern sich vielleicht
noch, dass das Paket, mit dem die Drogen gelie-
fert wurden, in Huttwil aufgegeben wurde?"
"Und?"
"Nun, natürlich haben wir uns mit den Behörden vor
Ort zusammen getan. Diese fanden auch eine Spur,
aber dann schienen sie plötzlich verrückt geworden
zu sein, schwafelten etwas von einem unheimlichen
weissen Hund mit roten Augen, der sie im Wald bei
Ettishäusern angegriffen hätte. Die Ermittler vor Ort
trauen sich nicht, weiter zu fahnden."
"Ettishäusern?"
"Ein Weiler nördlich des Städtchens."
"Wurden die Ermittler noch auf irgendeine andere Art
bedroht? Oder nur durch diesen ominösen Geisterhund?"
"Ausser dem Hund haben sie nichts erwähnt. Einer fand
immerhin den Mut, ein Foto zu machen."
Er zeigte mir eine MMS auf seinem Mobiltelefon, die
er allerdings zoomen musste, damit man den Hund er-
kannte. Tatsächlich sah es nach einem Hund aus, weiss
mit roten Augen. Ich hätte auf einen Rottweiler-Albino
getippt, obschon ich keine Ahnung hatte, ob es bei Rott-
weilern überhaupt Albinos gibt. Was mich stutzig mach-
te, war das Leuchten, das von dem Hund ausging. Albi-
nos leuchten nicht unbedingt im Dunkeln. Ausser Johnny
Winter, aber bei dem lag es wohl eher an den Bühnen-
scheinwerfern.
"Das kommt mir ein bisschen vor wie beim 'Hund von
Baskerville'", meinte ich.
"Finde ich auch. Irgendwie unheimlich. Klar kann man
solche Fotos fälschen, aber ich habe leider keine Zeit,
dem vor Ort nachzugehen, und meine Abteilung ist so
schon überlastet. Da Sie uns damals den entscheidenden
Hinweis im Fall Schütz gebracht haben, dachte ich, viel-
leicht würde Sie die Sache interessieren..."
"Wissen Ihre Vorgesetzten, wofür Sie Steuergelder aus-
geben?" fragte ich. "Aber der Fall interessiert mich tat-
sächlich. Ich fahre gleich morgen nach Huttwil. Da ich
dort wohl übernachten muss, sollten Sie aber mit einer
gesalzenen Spesenabrechnung rechnen..."

Ich schaffte es, ein Zimmer im Hotel Kleiner Prinz in
Huttwil zu bekommen.
"Wie lange bleiben Sie, Herr Torso?" fragte mich der
Empfangschef.
"Es können ein paar Tage werden", antwortete ich. "Ich
habe hier etwas Geschäftliches zu erledigen und weiss
nicht, wie lange das genau dauert."
Er gab mir eines der günstigeren Zimmer. Als er mir den
Schlüssel aushändigte, fragte ich gleich, wie ich nach
Ettishäusern komme. Er erklärte mir den Weg, dann be-
zog ich mein Zimmer und machte mich bald danach auf
den Weg.

Kurz bevor ich den Waldrand erreichte, traf ich auf ein
Bauernhaus, vor dem ein knurrender Rottweiler auf mich
zukam. Es war kein Albino, und er leuchtete auch nicht.
"Ganz ruhig", sprach ich ihn an. "Ich spaziere nur hin-
durch."
"Ganz ruhig, Attila", hörte ich eine weibliche Stimme,
und bald darauf sah ich das Bauernehepaar auf mich
und den Hund zukommen, eine matronenhafte Frau
und einen kräftig gebauten, schon etwas älteren Herrn.
"Na, der kennt jedenfalls seine Aufgabe", meinte ich.
"Ja, aber er tut nichts", sagte der Bauer. "Sie wissen
schon: Hunde, die bellen, beissen nicht."
"Ja, klar", machte ich und kraulte den Hund. "Sagen
Sie, wissen Sie, ob der Wald einen Besitzer hat?"
"Der grösste Teil ist Gemeindegebiet, aber ein Teil ge-
hört zu meinem Pachtgebiet. Weswegen?"
"Ich verkaufe Weihnachtsbäume und suche einen neuen
Lieferanten."
"Ich weiss nicht, ob unsere Tannen dafür geeignet sind..."
"Na, ich schau mich mal etwas um. Eventuell käme ich
auf Sie zurück."
Ich verabschiedete mich und betrat den Wald.

Im Wald entdeckte ich nichts Aussergewöhnliches, es war
einfach bloss ein Wald. Es wimmelte von Bäumen, so vie-
len Bäumen, dass ich vor lauter Bäumen den Wald fast
nicht mehr gesehen hatte. Nur ein Teil war eingezäunt.
"Waldarbeiten", war auf einem Schild zu lesen. Aber ich
hörte keinerlei Geräusche, keine Kettensäge, kein Holz-
hacken, nichts. Da ich bei Tag wohl nichts herausbekom-
men würde, beschloss ich, nachts zurück zu kommen.

Bewaffnet mit einer Taschenlampe schlich ich nachts er-
neut durch den Wald. Vor dem eingezäunten Teil hörte ich
plötzlich ein bedrohliches Knurren. Und dann kam es auch
schon auf mich zu, jenes weiss leuchtende Untier, vor dem
die Landjäger sich gefürchtet hatten. Obschon mir etwas
mulmig war, erinnerte ich mich daran, was mir schon als
Kind von meinen Eltern beigebracht worden war: Vor Hun-
den niemals wegrennen! Ich blieb also stehen. Das Unge-
tüm kam näher, aber es hörte zu knurren auf und beschnup-
perte mich. Ich liess es gewähren und redete ihm gut zu.
Meine Hand versuchte, das Fell zu streicheln, das Tier liess
dies sogar zu... nur war das gar kein Fell! Der ganze Hund
war mit einem weissen leuchtenden Stoff bedeckt, als wür-
de er eine Warnweste tragen. Vorsichtig versuchte ich, ihm
leicht über die Augen zu streichen. Mein Verdacht bestätig-
te sich: Das Tier trug gefärbte Kontaktlinsen, wovon eine
hinaus fiel. Ich entfernte ihm die andere, dann hörte ich ein
Klicken und eine Stimme. Da sich meine Augen inzwischen
an die Dunkelheit gewöhnt hatten, erkannte ich einen Mann
mit einem Gewehr.
"Das hätten Sie nicht tun sollen", knurrte er. "Nun muss ich
Sie wohl oder übel erschiessen..."
Ich erkannte die Stimme wieder. Es war der Bauer vom Wald-
rand.
"Der Hund sollte wohl Besucher fernhalten", sprach ich ihn
an. "Sie produzieren hier im Wald versteckt Cannabis, nicht
wahr?"
"Das werden Sie nur glücklicherweise niemandem mehr ver-
raten können", meinte er.
"Doch!" Hinter mir ertönte eine weitere, vertraute Stimme.
Es war jene von Wachtmeister Glauser. "Waffe fallen lassen!"
rief er. "Sie sind umstellt!"
"Verdammte Scheisse!" brüllte der Bauer und ballerte drauf-
los, aber ein Schuss aus Glausers Dienstwaffe brachte ihn zu
Fall.

"Ich habe mich inkognito auf den Weg gemacht", erklärte mir
Glauser, als wir im Kleinen Prinzen sassen und einen Kaffee
tranken- er trank Kaffee, ich Cola-, nachdem wir den Bauern
bei der örtlichen Polizei und den Hund bei der Bäuerin, die
angegeben hatte, nichts von den Machenschaften ihres Mannes
gewusst zu haben, abgeliefert hatten. "Bin Ihnen gefolgt, um
notfalls eingreifen zu können. Und wie sich heraus gestellt hat,
war es auch nötig..."
"Ich werde es bei meiner Rechnung berücksichtigen", meinte
ich.
"Schon verrückt", sinnierte er. "Wären die Dorfpolizisten hier
nicht so abergläubisch, wir hätten den Fall schon lange gelöst
gehabt..."
Ich erhob mein Glas. "Auf den Aberglauben", sagte ich und
trank aus.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen