"Die Herkunft vieler mittelalterlich klingender
Redensarten erweist sich bei näherem Hinsehen
als nicht wirklich alt."
(Gerhard Wagner: "Schwein gehabt!-
Redewendungen des Mittelalters")
Am Wochenende waren meine Verlobte und ich in Deutschland
auf einem Mittelaltermarkt. Wobei Markt ist untertrieben, nach
heutigen Massstäben war das ein Festival. Ihre Schwester spen-
dierte uns den Eintritt, meiner Verlobten, ihrer Nichte und mir.
Ihre Nichte trug sogar ein mittelalterliches Kleid. Wir kamen
gerade zur Mittagszeit dort an und hatten bereits etwas Hunger,
also führte unser Weg uns zunächst zu einem Stand mit gegrill-
tem Fleisch. Diese Bratwurst schmeckte um einiges besser als
jede hier im Laden gekaufte. Die war so gut, dass ich noch
nicht mal Senf dazu brauchte, um sie zu essen. Das hat in der
Schweiz noch keine Bratwurst geschafft. Sorry, liebe St.Galler!
Die Getränke- Achtung, Anachronismus!- wurden in Glasflaschen
verkauft, es gab- Achtung, schon der zweite Anachronismus!-
Schorle, Mezzomix, Cola, Bier, Mineralwasser, was das moderne
Mittelalter eben so noch gar nicht da hatte. Die Frau am Getränke-
stand war eine hübsche Blondine mit weiblichen Formen, die ein
sehr gelungenes Mittelalterkleid trug.
"Da haben Sie aber ein schönes Kleid", meinte meine Verlobte.
"Ja, nur krieg' ich es hinten leider nicht ganz zu", meinte die Ver-
käuferin und machte eine Dreivierteldrehung.
"Das Problem kenne ich", machte meine Verlobte lachend.
Es gab drei Bühnen, eine grosse, eine kleineren und eine ganz
kleine. Auf der grossen Bühne spielten "Corvus Corax", eine
Band, die sich nach dem zoologischen Namen des Kolkraben
benannt hat. Eigentlich spielt diese Band ziemlich brachial,
fast schon in Richtung Metal. Schon wieder ein Anachronismus!
Oder auch nicht, denn seit einigen Jahren darf an diesem Mittel-
alterfestival kein Verstärker mehr eingesetzt werden. Aber nicht,
weil es sich sonst um einen Anachronismus handelt, sondern
weil sich Anwohner beschwert hätten. Auf der kleineren Bühne
spielte die Gruppe "Heidenspass", die nun wirklich Musik
machen, wie sie auch im Mittelalter vielleicht gespielt geworden
wäre, gefolgt von "Duivelspack" und den "Streunern", die vor-
wiegend Trinklieder im Repertoire haben. All diese Gruppen
verkauften natürlich- und hier kommt der grösste Anachronismus
von allen- CDs! Es gab sogar einen Stand mit CDs mit Mittelalter-
musik. Da waren Namen darunter wie "Faun", "Die Irrlichter",
"Omnia" oder Loreena McKennit. Trotzdem, und obschon ich
die Musik dieser Künstler schätze, fand ich keine CD, die ich
mir kaufen wollte. Dafür fand ich ein Buch über mittelalterliche
Redensarten, aus dessen Vorwort das Zitat am Eingang dieses
Textes stammt. Meine Verlobte fand ein Mittelalterhemd, das
ihr sogar passte und kaufte dieses.
"Nächstes Jahr bist du mit einem Mittelalterhemd an der Reihe",
meinte sie und brachte die Idee aufs Tapet, in Mittelalterko-
stümen zu heiraten. Finde ich eine sehr schöne Idee, damals
gab es noch keine Krawatten. Und es gibt sehr schöne mitttelal-
terliche Kleidung. Oder das, was wir heute dafür halten. Schöner
als die heutige Festtagskleidung für solche Anlässe. Und ich bin
sicher, wahrscheinlich auch bequemer.
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