Dienstag, 7. Oktober 2014

Aufzeichnungen eines Aussenseiters, 7.10.2014


Zeichnung von Peter Bergemann



Wer hat sich das bloss schon wieder ausgedacht? Laut einer Umfrage des
Meinungsforschungsinstituts "Marketagent.com", würden viele Schwei-
zer es begrüssen, wenn dicke Mitreisende für ihr Ticket mehr bezahlen
müssten, schliesslich bräuchten sie ja mehr Platz, und im Flugzeug be-
nötige ihr Transport mehr Kerosin. Das kann doch nur ein schlechter
Scherz sein! "Blick am Abend", die Zeitung, die dies berichtete, ver-
riet nicht einmal, wer eine solch dämliche Umfrage überhaupt starten
liess. Möglicherweise "Blick am Abend" selber. Die brauchten viel-
leicht endlich mal wieder eine Nachricht, die aufhorchen lässt, um im
Gespräch zu bleiben. Ausgerechnet ein Blatt jener Verlagsgruppe,
die sich sonst im Kampf gegen Diskriminierung am weitesten aus dem
Fenster lehnt! Und nun diskriminieren sie schon selber! Ausländer,
Farbige, Andersgläubige darf man nicht mehr diskriminieren, und das
ist gut so, aber was geschieht stattdessen, weil der Mensch nicht dazu-
lernt? Dicke, Raucher, Vegetarier, Dünne, Fleischesser, Nichtraucher-
es gibt wohl keine Menschengruppe mehr, die nicht von einer ande-
ren diskriminiert wird! Was für eine traurige Entwicklung unserer
sogenannten "Zivilisationsgesellschaft"! Es braucht wohl kaum er-
wähnt zu werden, dass sich vorwiegend Dünne und Junge im Rah-
men dieser Umfrage so äusserten, ganz nach dem Motto: "Haupt-
sache, es betrifft die Anderen, dann kann es mir egal sein..."
Aber auch ihr, ihr dünnen Jungen, werdet eines Tages alt und im
Alter vielleicht sogar mal fett! An die Vorsorge denkt ihr natür-
lich nicht, wie? Natürlich nicht, wozu auch, in der Pubertät? Weiss
das Marktforschungsinstitut eigentlich- oder seine Interviewpart-
ner-, dass Meinungsumfragen nur bei mündigen Bürgern durch-
geführt werden dürfen? Also Menschen ab 18? Anders als mit
Infantilismus ist so eine Meinung nämlich nicht erklärbar! Aber
vielleicht haben sich ja nur ganz viele Menschen mit den Um-
fragern einen Scherz erlaubt. Wer hat nicht schon mal, wenn ein
Telefon mit einer Umfrage kam, irgendwelchen Schrott geant-
wortet, z.B.:
"Mögen Sie Schweizer Wein?"
"Ich trinke nur Bier."
oder
"Welche Zeitungen lesen Sie?"
"Keine."
"Fernsehen? Radio?"
"Hab' ich beides nicht."
"Internet?"
"Auch nicht."
"Wie halten Sie sich über die aktuellen Entwicklungen auf dem
Laufenden?"
"Ich gehe regelmässig zum Friseur."
Aber zurück zum Thema, um das es hier eigentlich geht. Nicht
um Ticketpreise oder um Uebergewicht, nein, es geht um Dis-
kriminierung. Dass es auch anders geht, hat diese Woche der
Präsident meiner Wohngemeinde gezeigt. Es handelt sich näm-
lich um eine jener Gemeinden, die vom Kanton auserkoren
wurden, Flüchtlinge aus Krisenländern wie Syrien oder Eritrea
aufzunehmen; es wurde beschlossen, dass diese in einer Zivil-
schutzanlage untergebracht werden. Kurz bevor die ersten an-
kamen, wurde jeder Haushalt angeschrieben mit einem Infor-
mationsbrief des Gemeindepräsidenten, der mit der Bitte an
alle Einwohnerv endete, diesen Menschen mit Respekt zu be-
gegnen. Wenn man weiss, dass unser Gemeindepräsident Mit-
glied der SVP ist, ausgerechnet jener Partei, die am heftigsten
gegen Ausländer wettert, dann zeigt sich, dass auch Schweizer
durchaus über ihren Schatten springen können. Da können sich
viele junge Dünne eine Scheibe davon abschneiden.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen