Sonntag, 1. September 2019

Kurzgeschichte: "Abra Cadabra"


(Bild: "Zatanna" von Forty-Fathoms)

Das Licht in den Zuschauerrängen ging aus und die Künstle-
rin kam auf die Bühne. Sie trug ein Smokingoberteil, einen
Zylinder und Netzstrümpfe, ihre Aufmachung erinnerte an
die Figur Zatanna aus den Comics. Sie nannte sich Abra Ca-
dabra und war Bühnenzauberin. Sie begann ihre Show mit
ein paar Kartentricks, gefolgt von dem obligaten Kaninchen
aus dem Zylinder, bevor sie zu den kurioseren Tricks kam,
für die sie berühmt war und von denen selbst langjährige
Bühnenzauberer und Illusionisten nicht wussten, wie sie
funktionierten. Der Applaus war ihr gewiss. Nur zwei der
Zuschauer im Publikum waren weniger angetan von ihrer
Aufführung: eine junge, mollige Brünette und ein älterer
Herr.
"Doctor?" flüsterte die Brünette dem älteren Herrn fragend
ins Ohr.
"Ich spüre es auch", flüsterte dieser zurück. "Eine mächtige
magische Signatur, die nichts Gutes verheisst. Und sie
kommt von der Bühne. Ich denke, ich werde der Künstlerin
nach dem Auftritt einen Besuch abstatten."

Nach dem Auftitt zeigte der ältere Herr einem Aufpasser sei-
nen Backstagepass.
"Der wurde mir zugeschickt", erklärte er. "Ich würde Miss Ca-
dabra gerne meine Aufwartung machen."
"Ich frage mal nach", meinte der Wachmann. "Wen soll ich mel-
den?"
"Destiny", antwortete der Mann. "Dr. Hiram Destiny."

Dr. Destiny wurde tatsächlich durchgelassen, und schon bald da-
rauf wurde er von Abra Cadabra in ihrer Garderobe empfangen.
"Dr. Destiny", sagte Abra, "der Meister der mystischen Künste
höchstpersönlich macht mir einfachen Bühnenkünstlerin seine
Aufwartung. Womit habe ich das verdient?"
"Das hier wurde mir zugeschickt", erklärte Destiny und zeigte
seine Backstagekarte. "Und ich glaube, Sie sind mehr als nur
eine einfache Bühnenkünstlerin. Ich glaube vielmehr, Sie haben
sich auf ein riskantes Spiel eingelassen."
"Glauben Sie?" fragte Abra, doch ihr Blick war nicht mehr so
friedlich wie zuvor. "Vielleicht haben Sie recht."
Mit diesen Worten stand sie von ihrem Garderobenstuhl auf
und liess aus ihren Händen magische Energieketten kommen,
mit denen sie Destiny fesselte und in der Luft schweben liess.
"Früher war ich wirklich nur eine einfache Bühnenkünstlerin",
begann sie zu erzählen. "Ein Niemand, ein Nichts, ich hatte
nur ein paar einfache Zaubertricks auf Lager, die niemanden
mehr hinter dem Zaun hervor locken. Dann erfuhr ich, dass
echte Magie existiert und erlernte diese im Selbststudium.
Aber was ich dadurch lernte, reichte mir nicht. In einem He-
xenzirkel lernte ich weiter, bis mir auch dies nicht mehr reich-
te. Schliesslich ging ich einen Pakt ein. Einen Pakt mit einer
uralten Dämonin, die mir von einem mächtigen Magier in
New York erzählte, der ihren Plänen im Weg stehen würde.
Würde ich aber dessen Kräfte auf mich übertragen, würde
ich die mächtigste Zauberin der Welt werden. Und das tue
ich nun..."
"Sie machen einen Fehler", meinte Destiny, wobei seine
Stimme etwas gequält klang, da die Fesseln auf seine Lunge
drückten. "Die Dämonin will Sie nur für ihre Zwecke benutzen,
wenn Sie erstmal mächtig genug sind..."

Die mollige Brünette, Dr. Destinys Assistentin Joy Sweater, sah
auf die Uhr und fragte sich, wo der Doktor so lange blieb. So
langsam machte sie sich Sorgen. Sie trat zu dem Sicherheits-
mann und sprach ihn an: "Der Herr, der vorhin zu Miss Cadabra
ging?"
"Haben Sie einen Backstagepass?" wurde sie gefragt.
"Nein", antwortete sie.
"Dann darf ich Sie leider nicht rein lassen."
"Können Sie ihm aber, wenn er kommt, ausrichten, dass ich draus-
sen auf ihn warte?"

Aber Joy hatte keineswegs die Absicht, draussen zu warten. Sie
spürte, dass irgendetwas nicht in Ordnung war. Joy hatte selber
nämlich auch magische Kräfte. Sie suchte nach einer Möglich-
keit, heimlich hinter die Kulissen des Theaters zu gelangen. Sie
hatte das Glück, dass die Garderoben Fenster hatten. Je näher
sie dem Fenster von Abras Garderobe kam, umso mehr wusste
sie, dass etwas nicht stimmen konnte. Und als sie es schaffte,
heimlich durch dieses Fenster zu gucken, wurde ihr Gefühl be-
stätigt. Was sollte sie tun? Sie war stark genug, um das Fenster
einzuschlagen, aber nicht sportlich genug, um hineinzuklettern.
Dennoch holte sie zu einem Schlag aus...

"Was ist...?" machte Abra Cadabra, als die Fensterscheibe zer-
brach und blickte sich um. Genau diesen Moment ihrer Unacht-
samkeit brauchte Destiny, um sich von ihren Fesseln zu befreien.
Er trat hinter sie und tippte ihr auf die Schulter. Abra blickte sich
wieder zu ihm um und Destiny gelang es, nun seinerseits sie in
magische Energiefesseln zu legen. Trotzdem grinste Abra.
"Was wollen Sie nun tun, Doc?" fragte sie. "Niemand wird Ihnen
glauben, dass hier ein magischer Kampf stattgefunden hat. Und
ein Verbrechen kann mir nicht nachgewiesen werden."
"Ich werde Sie wohl laufen lassen müssen", erklärte Destiny,
"aber nicht ohne mich zu vergewissern, dass ich vorläufig vor
Ihnen sicher bin. Die Fesseln werden Sie 24 Stunden festhal-
ten."
Dann wandte er sich in Richtung Fenster und sprach zu Joy:
"Gut gemacht. Vielen Dank. Ich komm' gleich raus. Ach ja,
wir dürfen nicht vergessen, ein magisches Kraftfeld um unser
Heim zu errichten. Wer weiss, wann ihr nächster Angriff
kommt..."


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