Donnerstag, 15. Oktober 2020

Kurzgeschichte: "Das verschwundene Rennpferd"

 "Heiss hier drin", meinte Severine Elfeber und knöpfte ihre Bluse auf. Meine Klientin in spe hatte durchaus was zu bieten, mollig und vollbusig, wie sie war. Ihr schulterlanges, blondes Haar und ihr Stupsnäschen machten sie noch attraktiver, nur ihr Schmollmund zeigte, dass man sich mit ihr besser nicht anlegen sollte.

"Was kann ich für Sie tun, Frau Elfeber?" fragte ich sie. "Verstehen Sie etwas von Pferden, Herr Torso?" fragte sie mich zurück. 
"Nicht viel. Warum?" 
"Ich bin Besitzerin eines Rennpferdes, und das ist verschwunden."
Ich musste wohl ziemlich irritiert geschaut haben, denn sie liess bald darauf verlauten: "Ich weiss, ich sehe nicht wie eines dieser kleinen dünnen Pferdereitermädchen aus, aber ich reite das Pferd ja auch nicht. Das macht mein Mann, der ist Jockey von Beruf."
"Ach so", machte ich. "Dann erzählen Sie mal."
Und sie erzählte: "Gestern war unser Schimmel Rocco plötzlich nicht mehr in seinem Stall. Und morgen wäre er für ein Dressurreiten angemeldet."
"Wo befindet sich dieser Stall?"
"In Schönbühl. Bei der Militärkaserne Sand. Dort stellen einige Dressurreiter und Pferdebesitzer ihre Tiere unter."
"Gibt es jemandem, dem das Verschwinden des Pferdes nutzen könnte?"
"Na ja," seufzte sie, "Rocco gilt als das beste Pferd, das morgen starten soll. Da gibt es natürlich schon einiges an Neidern und Konkurrenz."
Ich legte ihr Papier und einen Stift hin und bat sie, alle Namen aufzuschreiben, die ihr in den Sinn kamen. Zuletzt waren fünf Namen darauf:

-Marc Allmen, konkurrierender Rennstallbesitzer
-Hans-Peter Hagen, dessen Reiter
-Tiffany Allmen, Tochter des Rennstallbesitzers
-Remo Hagen, Sohn des Rennstallbesitzers und
-Guido Kälin, ein zwielichtiger Geschäftsmann, der Wetten entgegennimmt

"Wo findet das Rennen morgen statt?" fragte ich.
"Auch beim Sand", antwortete sie. "Also quasi vor Ort."
"Nun", setzte ich an und seufzte, "ich kann leider nicht versprechen, dass ich das Pferd in so kurzer Zeit finde, aber ich sehe mich gerne vor Ort um und ziehe meine Schlüsse daraus. Wie sind Sie gekommen? Auto oder ÖV?"
"Ich parke bei der Mahogany Hall."
"Fahren Sie noch nach Schönbühl? Wenn ja, könnten Sie mich mitnehmen?"

Frau Elfeber konnte mich mitnehmen, ihr Auto war ein roter Hybrid. In Schönbühl lernte ich ihren Mann Eduard kennen, der, wenig verwunderlich, sehr viel kleiner und dünner als seine Frau war. Ich sah mir den Stall an und fragte nach den Stallungen der Konkurrenz. Dort traf ich auf den Chef selber, Marc Allmen, einen älteren graumelierten Herrn mit Schnurrbart, der eine stinkende Zigarre rauchte.
"Nein", meinte er auf meine Frage, "ich weiss leider nicht, wo das Pferd der Elfebers abgeblieben ist."
"Mit welchem Pferd gehen Sie an den Start?" fragte ich, da ich seines nicht sehen konnte, weil es gerade nicht im Stall war.
"Mit Nero, einem Rappen", antwortete er. "Da kommt er übrigens gerade."
Ein drahtiger Mann, bei dem es sich wohl um den Jockey Hans-Peter Hagen handelte, kam auf einem stattlichen Rappen angeritten. Auch er gab an, nicht zu wissen, was mit dem Pferd der Elfebers passiert sei. Da er den typischen breitbeinigen Reiterschritt hatte, sah ich, dass die Innenseiten seiner Hose ganz dreckig schwarz waren. Da meine weiteren Verdächtigen, Allmens Nachwuchs und der Wettenplatzierer Kälin erst zum Rennen vor Ort sein würden, konnte ich nicht mehr viel ausrichten. Ausser nachzudenken. Und das tat ich auch.

Als ich wieder bei den Stallungen der Elfebers war, fragte ich diese: "Möchten Sie das Pferd zurück, und die Schuldigen kommen davon? Oder möchten Sie, dass der oder die Täter bestraft werden? Dann werden Sie aber aufs Rennen verzichten müssen."
"Das Rennen ist uns gar nicht so wichtig", meinte Frau Elfeber. "Wichtig ist das Pferd. Und ich will, dass die Schuldigen drankommen."
"Das werden sie", versprach ich. "Und es könnte sogar unterhaltsam werden."

Am nächsten Tag war das Rennen. Ich konnte auch erstmals einen Blick auf den Nachwuchs Allmens werfen, der jünger war, als ich gedacht hätte. Auch den Wettenplatzierer Kälin lernte ich kennen, einen bulligen Typen, der wirklich etwas zwielichtig wirkte. Im Publikum und unter den Allmens gab es Gejubel und Applaus, als der Rappe Nero zum Sieger ausgerufen wurde. Das war mein Stichwort. Ich begab mich auf die Tribüne zu dem Moderator mit dem Mikrofon und bat um dieses. Etwas widerwillig gab er es mir.
"Ich fürchte", begann ich, "das Siegerpferd muss disqualifiziert werden. Denn es handelt sich nicht um das Pferd, um das es sich handeln sollte. Wäre bitte jemand so freundlich, das Siegerpferd zu waschen?"
Ein Junge, der wohl als Stallbursche aushalf, kam meiner Bitte nach. Und siehe da- aus dem Rappen Nero wurde ein Schimmel! Der verschwundene Schimmel Rocco!

Das Pferd wurde disqualifiziert, und alle vom Team Allmen mussten bei der Polizei eine Aussage machen. Wie sich herausstellte, war von der Familie Allmen niemand wissentlich an der Sache beteiligt, es war der Reiter Hagen, der den echten Nero auf dem Bauernhof seiner Eltern versteckte und mit Rocco ausgetauscht hatte, da dieser das bessere Pferd war und er, also Hagen, endlich auch einmal gewinnen wollte. Mit einem Haufen Russ und Kohle tarnte er den Schimmel als Rappen, und nur seine dreckig-schwarzen Hosen hatten ihn verraten. Die Elfebers hatten ihr Pferd wieder, Herr Hagen wurde von seinem Berufsverband gesperrt, und die Familien Allmen und Elfeber beschlossen, künftig gemeinsam zu agieren. Ich hatte mit der ganzen Sache nichts mehr zu tun, also trabte ich schnaufend davon...

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