(In Erinnerung an das Schullager der 10.Klasse in Italien und die seltsa-
men Vorfälle damals. Der Rest der Geschichte ist Fiktion.)
Die Mädchen sassen draussen auf dem Flur oder auf der Treppe und weinten,
während die unheilvollen Geräusche aus dem Zimmer drangen, eine Sprache,
die niemand verstand. Ausgesprochen wurde sie von einer jungen Frau, einer
der zahlreichen Teilnehmerinnen dieses Schullagers, während sie zu schlafen
schien, sich hin und her windend und Gift und Galle spuckend. Die Leiter des
Lagers versuchten, sie zu wecken, doch sie hatten keine Chance. Selbst als sie
so fest zugedrückt hatten, dass ihr Arm blutete, konnten sie das Mädchen
nicht wach kriegen.
Der schlanke, ältere Herr mit den ergrauten Schläfen, dem wie in Stein ge-
meisselten Gesicht und dem Schnurrbart, der soeben, gemeinsam mit einer
kleinen, dicken, jungen Brünette im Schlepptau, die kleine Bar im italieni-
schen Varazze betrat, war der Blickfang der Kundschaft des Cafés, als die
beiden eintraten. 'Er könnte ihr Vater sein', mögen sie sich gedacht haben,
wohl wissend, dass es keineswegs so war; schliesslich sah und hörte man
ihnen die Touristen schon von Weitem an. Und dann auch noch America-
nos, wie die schlechte, englische Aussprache verriet. Und das Pentagramm,
das er um den Hals trug, machte den Alten bei der gottesfürchtigen, italie-
nischen Landbevölkerung erst recht suspekt. Der Alte aber interessierte
sich nur für einen anderen, bereits ergrauten Herrn mit Brille, der an einem
Tisch in der hintersten Ecke des Cafès sass. Auf diesen steuerten er und
seine junge Begleiterin geradewegs zu.
"Mister Jensen?" fragte der mit dem Schnurrbart. Der Brillenträger stand
auf und reichte ihm die Hand.
"Sie müssen Dr. Destiny sein", stellte er fest. "Bitte, setzen Sie sich."
Dr. Destiny deutete auf seine Begleiterin. "Miss Sweater, meine Assisten-
tin."
"Sehr erfreut", machte Jensen.
"Also", begann Destiny, als Alle sich gesetzt hatten, "wozu brauchen Sie
meine Hilfe?"
"Der Hausmeister der casa, in der unsere Schule ihr alljährliches Projekt-
lager durchführt, hat Sie mir empfohlen. Sie hätten dem Priester in seinem
Heimatdorf einmal sehr geholfen. Vielleicht könnten Sie auch uns helfen.
Es geht um eine unserer Schülerinnen, Nadia..." Er reichte ihm ein paar
Fotos und einige weitere Papiere. "Am Besten sehen Sie sich das mal an.
Es gelang mir nur durch Nadias Einverständnis da ranzukommen."
Destiny warf einen Blick auf die Fotos, die eine junge, leicht mollige Brü-
nette zeigten. Danach sah er die Papiere durch. "Das sind Arztberichte und
psychologische Atteste. Das glaub' ich Ihnen gern, dass Sie da eine Bewil-
ligung brauchten."
"Ich hatte auch Glück, dass sie mir Alles so schnell von der Schweiz nach
Italien faxen konnten."
"Verdacht auf Schizophrenie und Epilepsie...nur das mit der seltsamen
Sprache passt nicht in's Bild. Der von Ihnen beschriebene Anfall sieht mir
nicht nach Epilepsie aus. Die Stimme war verändert?"
"Ja, es klang richtig...unheilvoll. Die anderen Mädchen im Lager sind
immer noch durcheinander. Und es wiederholt sich jede Nacht. Letzte
Nacht liessen wir heimlich ein Tonbandgerät mitlaufen. Wir können es
uns nachher anhören, sobald wir in der casa sind."
Dr. Destiny lauschte der rauhen Stimme, die so gar nichts Mädchenhaftes
an sich hatte, dann drückte er auf die STOP-Taste. "Einige lateinische
Ausdrücke, sowie einige hebräische, ein paar wenige kann ich auch dem
Aramäischen zuordnen, einer allerdings ausgestorbenen Sprache. In den
Berichten stand, ihre Grosseltern wären Zigeuner gewesen, sie könnte
dort etwas aufgeschnappt haben."
"Ihre Grossmutter soll Karten gelegt haben, heisst es", ergänzte Jensen.
Destiny seufzte. "Wahrscheinlich hat sie mehr als nur das getan", meinte
er. "Ich fürchte, wir haben es hier mit einem Fall von Besessenheit zu tun."
"Aber...so etwas gibt es doch nur in billigen Gruselfilmen, oder?" fragte
Jensen.
"Schön wär's", antwortete Destiny. "Bei Besessenheit kann ich nicht viel
tun. Ich bin Magier, kein geweihter Priester. Wenn es sich wirklich um
Besessenheit handelt, brauchen wir einen Priester, und dieser braucht die
Zustimmung der Patientin und der Kirche."
"Was ist mit dem Priester, dem wir damals in Italien geholfen haben?"
meldete sich nun Joy Sweater, Destinys Assistentin, zu Wort.
"Ich werde sogleich versuchen, ihn zu erreichen. Gibt es hier ein Telefon?"
Es vergingen zwei Tage, die alles Andere als einfach waren und in denen
Destiny und Joy selber einen Blick auf die Patientin werfen konnten, ehe
Padre Pietro, ein älterer, schon leicht rundlicher Geistlicher, eintraf.
"Der Vatikan hält immer noch nichts von Ihren Methoden, Dottore", er-
klärte der Padre, "aber sehr viel von Ihren analytischen Fähigkeiten.
Wenn Sie sagen, es würde sich um Besessenheit handeln, dann gibt es
kaum noch Zweifel."
Padre Pietro, Dr. Destiny, Joy und Jensen standen im Kreis um Nadias
Bett herum, auf welchem Destiny sie gefesselt hatte, und Pietro sprach
einige Worte auf Latein. Nadia wand und wehrte sich, dann verliess
irgendeine seltsame, dunkle Essenz ihren Körper und wollte sich auf
Jensen stürzten. Dieser schreckte zurück, doch dann entfloh die Essenz.
Nadia, das Mädchen, fragte mit angenehmer, aber erschöpfter Stimme:
"Ist es vorbei?"
Joy kniete sich neben sie hin und nahm ihre Hand. "Es ist vorbei",
sagte sie.
Jensen war ziemlich verwirrt. "Was war das gerade eben?" fragte er.
"Das, was Nadia beherrscht hatte", erklärte Pater Pietro, "suchte sich
einen neuen Wirtskörper. Aber keine Angst, es hat keinen gefunden."
"Es hat von mir abgelassen...Aber ich bin weder katholisch noch sonst-
wie religiös..."
"Ich auch nicht", meldete sich Destiny zu Wort. "Ich werde durch mein
magisches Pentagramm geschützt. Und Sie hatten, auch wenn Sie sich
nicht als religiös bezeichnen, doch auch ein religiöses Zeichen bei sich,
das Sie beschützt hat." Und er deutete mit dem Finger auf einen kleinen,
patriotischen Pin an Jensens Pullover mit dem Zeichen seiner Heimat:
dem Schweizer Kreuz.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen