( Ich wünschte, ich könnte vorgängig hier schreiben, diese Geschichte wäre
reine Fiktion und jedwede Aehnlichkeit mit lebenden Personen rein zufällig.
Leider kann ich es nicht. )
Caroline Sihlmann sass Golo Berger im Büro des Sozialarbeiters gegen-
über. Caroline war klein und dick und trug abgetragene, alte Kleidung,
da das Geld für neue Kleidung nicht reichte. Golo Berger, der Mann vom
Sozialamt, war gross und dünn und sah aus, als ob er kein Wässerchen
trüben könnte. Caroline wusste nur allzu gut, wie sehr dieser Eindruck
täuschte. In dem Stuhl neben ihr sass ihre Schwester Jenna, etwas grösser
und schlanker als Caroline, aber nicht viel. Jenna war mit dabei, um ihrer
Schwester beizustehen und um im Notfall was besprochen und gesagt
wurde bezeugen zu können. Caroline ging schon lange nicht mehr alleine
zum Sozialamt. Mit Berger hatte sie den grössten Krach, und alle Versu-
che einen anderen Berater zu bekommen, waren bisher vergebens. Frau
Brechbühl, Bergers Vorgesetzte, wollte nicht mal mehr mit Caroline re-
den.
"Wie soll ich zu diesem Vorstellungsgespräch kommen", fragte Caroline,
"wenn ich das Geld für das Bahnbillett nicht habe?"
"Der Fahrpreis wird Ihnen vom Sozialamt bezahlt", antwortete Berger
leicht grummelnd. "Das haben wir doch letztes Mal bereits besprochen."
"Und letztes Mal hiess es, das Fahrgeld wäre in jenem Geld, das mir über-
wiesen wurde, bereits inbegriffen gewesen", machte Caroline. "Aber das
hat mir niemand verraten. Ich habe dieses Geld gebraucht, um die Miete
und Windeln für das Baby zu bezahlen."
"Das Fahrgeld wird Ihnen erst ausbezahlt, wenn Sie dort waren", erläu-
terte Berger. "Das wird bei uns so gehandhabt, damit wir erstmal sehen,
ob Jemand überhaupt arbeiten gehen will oder nicht. Und bei Ihnen habe
ich eh das Gefühl, dass Sie nicht wollen!"
"Wie bitte?" Caroline stützte die Arme in ihre fleischige Seite. "Ich war
es doch, die immer wieder darum bat, in ein Arbeitsprogramm zu kom-
men! Aber Sie haben nichts unternommen!"
"Und als ich Sie dann in ein Programm stecken wollte", entgegnete Ber-
ger, "weigerten Sie sich!"
"Ich war sechs Monate am Babystillen und konnte deswegen nicht arbei-
ten gehen! Das ist alles ärztlich bestätigt!"
"Andere Mütter können auch arbeiten gehen, nachdem sie geboren haben!"
Das Gespräch war inzwischen an einem Punkt angelangt, an dem sich die
beiden Kontrahenten nur noch gegenseitig anbrüllten.
"Andere Mütter stillen nicht sechs Monate lang!" schrie Caroline zurück.
"Andere Mütter haben Verwandte, die sich um das Baby kümmern kön-
nen! Meine Verwandten sind meilenweit entfernt! Meine Schwester kann
auch nur, wenn sie mal frei hat, so wie heute!"
Jenna arbeitete als Köchin in einem Restaurant, und alle Termine Bergers
und Carolines wurden extra wegen ihr auf einen Montag verlegt, da dies
ihr freier Tag war und sie mitkommen konnte.
"Alles faule Ausreden!" schrie Berger. "So wie das mit dieser Gelenk-
krankheit!"
"Ich habe diese Krankheit! Mein Arzt kann Ihnen alles bestätigen!"
Caroline hatte ein Attest eines berühmten Rheumatologen, eines Spezia-
listen auf seinem Gebiet, in der Tasche, aber Berger glaubte ihr dennoch
nicht. Er war überzeugt davon, dass er und nur er recht hatte. Jenna wuss-
te, dass ihre Schwester die Wahrheit sprach: schon die Mutter der beiden
litt an der selben Gelenkkrankheit. Aber sie schwieg. Das Ganze wurde
sogar ihr schon zuviel. Caroline war es schon lange zuviel und ihrem
Freund auch. Sie hatte Angst, dass sie ihn verlieren würde, wegen die-
ses ganzen Aergers mit dem Sozialamt. Berger verlangte sogar, dass Ca-
rolines Freund einen Vaterschaftstest machen sollte, dabei hatte Caroline
mit keinem Anderen Sex gehabt. Sogardem Baby wäre das alles zuviel
gewesen, hätte es schon mitbekommen, was da ablief. Aber das Baby
war noch kaum jährig und konnte sich noch freuen, regelmässig sein
Fläschchen zu erhalten. Die Frage war nur: Wie lange noch? Da Caro-
line noch nicht 25 war, erhielt sie sogar nur einen Bruchteil dessen, was
eine über 25jährige in der gleichen Situation als Existenzminimum er-
hielt. Caroline zählte zu den sogenannten "jungen Erwachsenen".
Als sie und Jenna gingen, hatten sie wieder mal nichts weiter erreicht,
als noch ärmer zu werden: ärmer an Nerven, ärmer an Hoffnung.
Golo Berger lehnte sich in seinem Bürosessel zurück, zufrieden mit
sich und der Welt. Er schaute auf die Uhr. Anselm Läderach war
bereits seit zehn Minuten im Wartezimmer. Läderach war seit kurzem
wieder eingesteuert, d.h., er erhielt wieder Geld von der Arbeitslosen-
kasse. Nur dass dieses Geld von der Kasse nicht direkt auf Läderachs
Konto kam, sondern zuerst mal zum Sozialdienst, der ihm davon nur
das gesetzliche Existenzminimum weiterleitete. Von dem Rest war es
Berger ein leichtes, etwas für sich selber abzuzapfen, ohne dass Frau
Brechbühl oder Frau Lümmel vom Büro etwas merkten. Er lehnte
sich zurück. Wäre in dem Gebäude nicht Rauchverbot gewesen, er
hätte sich jetzt eine dicke Zigarre angezündet. Er war ein Arschloch
und er wusste es. Und das Beste war, dass er sich in einer Stellung
befand, die es ihm sogar erlaubte, ein Arschloch zu sein...
( Diese Geschichte, deren Protagonisten ich alle kannte, schrieb ich
2007, als ich nach meiner letzten längeren Arbeitslosigkeit endlich
wieder eine Stellung gefunden hatte. Nun bin ich wieder in dieser
Sch...situation, dass meine Rahmenfrist im November abläuft, wes-
halb ich hoffe, vorher ENDLICH wieder Arbeit zu finden, um nicht
wieder auf's Sozialamt zu müssen. Denn ich habe Angst, und wer
diese Geschichte gelesen hat und weiss, dass ich den selben Sozial-
arbeiter hatte wie die Kollegin, der wird dies hoffentlich verstehen...
Die Namen in der Geschichte wurden selbstverständlich geändert. )
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