Immer zu Beginn eines Jahres haben zwei Sorten von Forschern ihre grosse
Zeit: Konjunktur- und Trendforscher. Die Konjunkturforscher wagen Progno-
sen, wie das neue Jahr wirtschaftlich laufen wird und können dabei oft auch
nicht mehr sagen als die Astrologen. Die Trendforscher befassen sich mit
Mode, Stil resp. Style und mit Musik, mit alldem, was gesellschaftlich im
neuen Jahr angesagt sein könnte, ausserhalb von Wirtschaft und Politik. Da
unsere Politik eng mit unserer Wirtschaft verbunden ist, zählt Politik eher
in den Bereich des Konjunkturforschers. Das ist übrigens nicht erst seit dem
20. Jahrhundert so. Schon Daniel Defoe war ein heilloser Kapitalist. Im Ge-
gensatz zu Karl Marx stand Defoe aber immerhin dazu, ein Kapitalist zu
sein. Marx konnte seine Philosophie schliesslich auch nur entwickeln, indem
er an's Geld dachte. Er selbst hätte darunter gelitten, hätten seine Ideen Erfolg
gehabt. Kein Wunder also, dass er die Umsetzung Anderen überliess, die sie
dann aber zu ihren eigenen Gunsten und zum Leidwesen der ganzen Welt
missbrauchten.
Aber befassen wir uns lieber mit etwas Erfreulicherem: Die Trendforscher
sagen uns für 2013 voraus: Die fünfziger Jahre kommen zurück. Nun, ich
hätte nichts dagegen, weder in der Mode, die doch sehr sexy war, noch in
der Musik. Jedenfalls so weit ich dies beurteilen kann, denn selber habe ich
die fünfziger Jahre nicht miterlebt. Dafür bin ich schlichtweg zu spät gebo-
ren.
Aber was heisst eigentlich "kommen zurück"? Waren die fünfziger Jahre
denn jemals weg? Ueberall haben sie ihre Spuren hinterlassen, nicht nur im
Musical "Grease" ( das aus den 70ern stammt, aber in den 50ern spielt ).
Weder das Pin-Up-Model Zoe Scarlett noch die Burlesquen-Tänzerin Ditta
von Teese würden das tun, was sie heute tun, würden sie sich dabei nicht, zu-
mindest was ihre Aufmachung betrifft, auf die 50er berufen. Und musikalisch
waren die 50er der Höhepunkt des 20. Jahrhunderts. John Lennon soll mal ge-
sagt haben: "Vor Elvis war nichts." Es gibt auch Leute, die sagen: "Vor den
Beatles war nichts", aber was wissen die schon? Selbst Elvis trat erst 1954
auf den Plan, da war sogar sehr viel vor ihm, selbst wenn man sich nur gerade
auf die amerikanische Musik beschränkt. Da war Bill Monroe aus Kentucky,
der Ende der 30er bluesige und folkige Klänge zu seiner "Bluegrass" genann-
ten eigenen Musikrichtung zusammenführte. Da war Arthur "Big Boy" Crudup,
dessen "That's Allright, Mama" gemeinsam mit Monroes "Blue Moon Of Ken-
tucky" Elvis' erste Hits wurden. Da war Eddy Arnold, der, inzwischen steinalt,
immer noch da ist. Da war Hank Williams sr., der an Neujahr 1953, auf dem
Rücksitz seines Cadillacs, voll mit Drogen und Alkohol, gerade erst 29jährig
verstarb- und in der Folge zu der grössten Legende der Country-Music über-
haupt wurde. Da waren Ernest Tubb und Floyd Tillman, die zu den Ersten ge-
hörten, die ihre Gitarren elektrisch verstärkten. Da waren Woody Guthrie und
Pete Seeger, die für die armen Arbeiter sangen und sich damit auch politisch
einmischten. Da war Kitty Wells, die endlich auch die Frauen aus ihrer Sicht
in den Texten ihrer Country-Songs zu Wort kommen liess. Da war Patsy
Cline, die das auslebte, wovon die sonst so brave Kitty Wells nur sang und
fluchen konnte wie ein Seemann. Da war der berühmte, aber arrogante Honky
Tonker Webb Pierce, der als Erster eine Pedal-Steel auf einer Aufnahme ver-
wendete ( auch wenn nicht er selber diese spielte ). Und natürlich war da
Frank Sinatra, der zu den Ersten zählte, die Schallplatten, nicht nur Singles,
einspielten und als Erster das Mikrofon nutzte. Sinatra bezeichnete den
Rock'n'Roll zuerst als "Mist", sang dann aber doch mit Elvis im Duett. Frankie-
boy, der einzige Mafiosi, dem die Welt nachweinte, als er starb. Elvis hat von
ihnen allen profitiert, hat ihre Lieder gecovert ( selber hat er kaum was gesch-
rieben, die meisten Lieder die seinen Namen in den Credits tragen, verdanken
dies seinem Manager Colonel Tom Parker, der sich Tantiemen für diese Songs
aushandelte. Einen Teil seines Reichtums hatte Elvis also einem Betrug zu ver-
danken.) Und obschon Elvis der "King of Rock'n'Roll" war, war er nicht, wie
viele meinen, dessen Erfinder: Bill Haley war noch vor ihm und Hank Williams
sr. war noch vor Bill Haley, denn Haleys "Rock Around The Clock" war auf
einer Melodie-Rhytmus-Basis aufgebaut, die Hank schon bei "Move It On
Over" verwendet hatte. Und der Boogie-Woogie war auch lange vor dem
Rock'n'Roll da, er entstand in den Kneipen der Südstaaten, in denen Blues-
Pianisten in die Tasten hauten. Der Rock'n'Roll aber wagte es damals, die
Country-Music der Weissen mit der damaligen "Black Music", dem Blues,
zu kreuzen, so dass die rassistisch eingestellten Radioformate der damaligen
USA, die entweder nur "white music" oder nur "black music" spielten, ein
Problem hatten. Denn damals herrschte noch Appartheid, das änderte sich
erst in den 60ern und 70ern, als Kennedy und Johnson an der Macht waren.
Es waren eben doch nicht alles gut, was in den 50ern war, und diese Zeiten
zu verklären, ohne auf diese schlechten Sachen hinzuweisen, das wäre ge-
nauso falsch wie die Hippiezeit zu verklären, ohne auf Drogenmissbrauch
und Geschlechtskrankheiten aufmerksam zu machen. Dennoch: musikalisch
sind die 50er immer noch da. Damals wurde ein weiterer Grundstein- nur
ein weiterer, nicht der Grundstein (wie viele meinen ) für unsere heutige
Musik gelegt. Adele, Lana del Rey, Christina Aguilera und viele Andere
würden ganz anders klingen, wäre nicht diese Musik der 50er gewesen,
dieser Rock'n'Roll. Und wenn nun die Musik von 2013 noch stärker dieser
Tradition verpflichtet ist: Nur zu. Ich mag solche Musik, wie sie Elvis
Presley, Carl Perkins, Jerry Lee Lewis und vor allem Johnny Cash spielten.
Nur eine Bitte hätte ich: Bitte, keine weiteren Elvis- Imitatoren!
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