Sonntag, 29. September 2013
Kurzgeschichte: Die Sängerin aus der Hölle
Zeichnung von Les Toil
Niemand wusste sich den Erfolg von Jewels & the Jewelry so richtig zu
erklären. Die haselnussbrünette Sängerin, die gerne freizügig ihre Kurven
präsentierte, war zwar hübsch anzuschauen, aber wirklich schön war weder
ihre Musik noch ihr Gesang. Und dennoch war Joy Sweater Feuer und
Flamme, als ihr Freund Mark Gordon mit Tickets für ein Jewels-Konzert
nach Hause kam. Drei Tickets, denn der Herr des Hauses, in dem Joy und
Mark sowie Marks Hund Blackbox wohnten, der Magier Dr. Destiny, war
auch eingeladen. Also begaben sich die drei an jenem Samstag abend zum
Konzertlokal. Das Publikum bestand aus allen Altersgruppen und allen
sozialen Schichten, doch waren Männer, die an Jewels vollbusiger Erschei-
nung mehr Gefallen fanden als an ihrer Musik, und Gothics, die sich mit
Texten wie "Death is a part of life" identifizieren konnten, klar in der Ueber-
zahl.
Das Publikum nahm Platz, die Band kam auf die Bühne und spielte die ersten
Takte, eine Feuershow wurde geboten, und aus den Flammen heraus, in einem
bauchnabelfreien, ärmellosen, weit ausgeschnittenen Oberteil und knallroten
Hosen, die E-Gitarre umgeschnallt, erschien die Frontfrau und begann, mit
leicht heiserer Stimme, ihre Lieder zu intonieren:
"Death is a part of life
Said the man who killed his wife
When asked why she had to go
He said, Satan told him so"
"Hmm", murmelte Destiny. "Das gefällt mir nicht."
"Ach, kommen Sie, Doc", meinte Gordon. "Dieses ganze Gothic-Satanismus-
Gelaber, das ist doch nur Show. Die ist ebenso harmlos wie Alice Cooper
oder Marilyn Manson. Alles nur Show."
"Seltsam", meldete sich Joy zu Wort. "Aber etwas stimmt hier wirklich nicht.
Mir ist nämlich kalt."
Gordon blickte sie entgeistert an. "Dir ist kalt?" Joy Sweater fror nämlich
normalerweise so gut wie nie, die geheimnisvolle "Seelenessenz", deren
Trägerin sie war, hielt sie selbst bei frostigsten Minusgraden warm. Und nun,
hier, wo es heiss war, da fror sie. Das konnte nur eines bedeuten: Geister oder
Dämonen, denn nur wo solche auftauchten, meldete sich bei Joy ein Kälteem-
pfinden.
Plötzlich erhoben sich die Zuschauer auf den anderen Plätzen und, als wären
sie in Trance, kreisten sie unsere drei Hauptakteure ein, während Jewels auf
der Bühne sang:
"The old wizard and his friends
They're lifes are gonna find their Ends
But first- the demon's going wild
She will have the wizard's child"
Die anderen Besucher kesselten die Drei immer mehr ein.
"Sie sind hypnotisiert", rief Joy und stand auf. Destiny und Gordon taten es ihr
gleich.
"Versuchen Sie, sie aus der Trance zu befreien", meinte Destiny zu Joy. "Ich
kümmere mich derweil um die Sängerin."
Joy schloss die Augen und strengte sich an, ihre Seelenessenz wirken zu lassen,
welche das Gute verstärkt. Es war die einzige Hoffnung, die sie hatte, um die
Konzertbesucher befreien zu können. Gordon versuchte, einige von ihnen ab-
zuwehren und Joy den Rücken freizuhalten.
Destiny betrat die Bühne, auf der Jewels noch immer sang:
"The wizard doesn't want the maid
Who lived too early to be late
The one of whom the Ancients said
That she's evil and undead"
"Deshalb waren wir drei nicht hypnotisiert", begann Destiny zu sprechen. "Weil
es eine Falle war. Die Karten wurden uns von dir geschenkt. Aber dieses Lied
kommt nun zu seinen Schlusstakten- Lilith!"
Als er den Namen ausgesprochen hatte, verwandelte sich die Sängerin. Auf der
Bühne stand nun nicht mehr die berühmte, kurvige, hübsche Brünette Jewels,
sondern eine in langes Gewand gehüllte Dämonin mit bleichem Antlitz, Fang-
zähnen und langem, schwarzem Haar. Und auch ihre Gitarre verwandelte sich,
wurde zu einer Schlange, die liebkosend um die Dämonin strich.
"Ich wusste, du würdest irgendwann dahinter kommen", zischte Lilith. "Diesmal
kriege ich, was ich will. Das Kind eines mächtigen Magiers und einer uralten
Dämonin kann sehr mächtig werden..."
"Niemals werde ich mit dir ein Kind zeugen", sprach Destiny.
"Auch dann nicht, wenn ich alle deine Träume erfüllen könnte?" fragte Lilith und
veränderte sich. Ihr Körper wurde kurviger, ihr Haar heller, ihr Gesicht runder-
und vor Destiny stand das nackte Abbild der Wetterhexe Rebecca Taylor, der Frau,
die er einst geliebt hatte.
"Niemals!" schrie Destiny und zeichnete rasch drei bannende Pentagramme in die
Luft. "In nomine padri et fili et spiritus sancti", begann er, als er auch noch Kreuze
in die Luft zeichnete, "in nomine adami et eva et gloria victoria! Vade retro, suc-
cubus! Vade retro, Lilith!"
Die Dämonin wand sich, und schliesslich war sie weg, und an ihrer Stelle war wie-
der die hübsche Frau mit der Gitarre da. Sie rieb sich die Augen und fragte: "Was-
was ist denn geschehen?"
"Ich fürchte, Ihre Songs entsprachen heute etwas zu sehr der Wirklichkeit", meinte
Destiny.
Im Publikum hatten sich die Menschen inzwischen wieder gesetzt, auch sie schie-
nen vergessen zu haben, was gerade geschehen war. Destiny trat von der Bühne
und setzte sich auch wieder auf seinen Platz.
"Ich weiss nicht warum, Leute", erzählte Jewels nun von der Bühne her, "aber
irgendwie habe ich plötzlich das Gefühl, ich sollte mal meine Songs gründlich
überdenken. Vielleicht werd' ich mich thematisch umorientieren, mehr so in diese
Richtung, die ihr nun hören werdet. Das ist ein alter Song, den ich schon als Kind
sehr mochte..." Und sie begann zu singen:
"I'm a rolling Stone
All alone and lost
For a life of sin
I paid the cost
And when I pass by
I hear the people say
Just another gal
On the lost highway"*
*Leon Payne: "Lost Highway", mit leichter textlicher Abweichung
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