Donnerstag, 12. September 2013
Kurzgeschichte: Der Nuttenkiller
Sie kehrte mir den Rücken zu und zeigte ein gewaltiges Hinterteil, das
in nicht viel mehr als roten Netzstrümpfen steckte.
"Willst du dich verstecken?" fragte ich. "Mir wurde gesagt, ich soll
Stella hier treffen. Bist du das?"
Sie drehte sich um. Auch ihre Vorderseite war sehr ansehnlich. Enorm
kurvig. Sie hatte Kurven wie eine Formel 1-Rennstrecke. Ihr Gesicht
war hübsch, wenn es auch ein bisschen hochnäsig wirkte. Aber wahr-
scheinlich kommt eine Frau in ihrem Metier ohne eine gewisse Hoch-
näsigkeit und Kaltschnäuzigkeit nirgendwo hin. Ihr brünettes Haar
fiel fast bis zu ihrem Hintern runter.
"Bist du Roman Torso, der Privatdetektiv?" fragte sie.
"Offenbar bin ich auf der Strasse gar nicht mal mehr so unbekannt."
"Moritz hat dich empfohlen. Er meinte, du könntest in diesem Fall besser
ermitteln als er, da er in unseren Kreisen zu bekannt sei."
Moritz Loeb war einer meiner Kollegen und gelegentlicher Mitarbeiter,
der sich besonders gut mit den Menschen am Rande der Gesellschaft ver-
stand.
"Worum geht es?" fragte ich.
"Schon vom 'Nuttenkiller' gehört?"
"Natürlich, die Boulevardblätter sind voll davon."
"Wir haben natürlich extrem viel Angst. Deshalb möchte ich, auch im Namen
von anderen Prostituierten, dass du ihn findest."
"Wieso ich? Die Polizei ist doch bereits an der Sache dran."
"Du wirst verstehen, dass wir Huren der Polizei nicht unbedingt viel Vertrauen
schenken."
"Du drückst dich ziemlich gewählt aus. Für eine Hure."
"Ich hab' schliesslich mal studiert. Soziologie. Danach wurde ich selber zum
Sozialfall. Lass uns ein paar Schritte gehen." Dies sagte sie, als sie sah, dass
zwei Uniformierte ganz in der Nähe soeben eine Tüte Gras bei einer ihrer
Konkurrentinnen gefunden hatten. Wahrscheinlich hatte sie selber irgendwo
welches dabei. Ihr Gang war sexy und betonte ihre Kurven noch zusätzlich.
Ob von Natur aus oder angelernt, keine Ahnung. Ihr Hintern schlingerte
bei jedem Schritt.
"Wie steht es um's Honorar?" fragte ich.
"Ein paar von uns können zusammenlegen. Natürlich haben die meisten hier
nicht viel Geld." Sie blieb stehen. War ihr Blick von Natur aus so lasziv oder
blickte sie immer so, wenn es um's Finanzielle ging? Es fiel mir zunehmend
schwerer, ihrem wohlgeformten Busen, ihren runden Arschbacken und ihren
Schenkeln zu widerstehen.
"Eine Nacht lang drüber", schlug ich vor. "Und eine Runde Arschgrabschen
als Vorschuss."
Der Polizist, der den Fall behandelte, war mein alter Genosse Inspektor Reber.
"Genosse" in dem Sinn, dass ich es immer gerne genoss, ihn zur Weissglut
zu bringen. Mit seinem roten Bart und dem bei Zorn noch röteren Bulldoggen-
gesicht bot er in solchen Situationen ein Bild, das Zille nicht besser hätte kari-
kieren können. Ich betrat sein Büro. Ohne anzuklopfen.
"Torso!" schrie er. "Können Sie nicht mal mehr anklopfen?"
Ich blickte auf seinen Schreibtisch. "Tut mir leid, ich wusste nicht, dass Sie
gerade am Wichsen waren."
"War ich nicht! Das sind Opfer in einem Fall!"
"Der Nuttenmörder?"
"Ich wüsste nicht, was Sie das angeht."
"Eine ganze Menge, wenn ich selber auf den Kerl angesetzt wurde."
"Was?" Seine rauhe Stimme überschlug sich beinahe. "Von wem?"
"Von einer Person, die mich sehr gut bezahlen kann. Also sollten wir besser
zusammen arbeiten."
"Na gut, wenn's sein muss. Aber unter Protest!"
"Ganz Ihrer Meinung, Herr Kollege."
"Nennen Sie mich nicht Kollege!"
"Okay, mein Freund."
"Ich bin nicht Ihr Freund!"
"Keiner will mein Freund sein. Liegt es an mir?"
"Hören Sie auf mit dem Quatsch! Hier!" Er deutete auf die Fotographien
dreier Männer. "Das sind unsere Verdächtigen. Jedenfalls diejenigen, die
wir bis heute haben."
Ich blickte mir die Fotos an. Ein Bankier, krawattiert und graumeliert,
ein Priester mit Nickelbrille und ein vollbärtiger Gassenarbeiter. Alle drei
sahen ziemlich harmlos aus.
"Was macht diese Männer verdächtig?" fragte ich.
"Sie waren immer wieder, vor und nach den Morden, bei einer der Nutten,
die an der Taubenstrasse stehen."
"Ich tippe auf den Priester."
"Warum?"
"Weil Priester doch gar nicht zu Prostituierten dürften."
"Das ist als Verdachtsgrund zu wenig."
"Ist der Priester katholisch?"
"Ja, er predigt sogar ganz in der Nähe des Tatorts. In der Dreifaltigkeits-
kirche."
"Verdacht erhärtet. Ich tippe auf den Priester."
"Wir beginnen gleich mit den Befragungen."
"Da wär' ich gern dabei."
"Kommt nicht in Frage!"
"Meine Klientin hat Einfluss..."
"Na gut. Aber Sie halten sich zurück!"
"In Ordnung, Herr Kollege."
"Und nennen Sie mich nicht Kollege!"
"In Ordnung, Herr Kollege."
Der Bankier hiess Volker Wagner. Ich machte mir, als ich den Namen
hörte, in Gedanken einen Spass daraus, ihn "Volkswagen" zu nennen.
Er war gross und schlank und machte ganz den Eindruck eines Mannes
von Welt.
"Herr Wagner", begann Reber, als wir eintraten. "Mein Name ist Reber,
und dies ist Herr Torso, der uns bei den Ermittlungen behilflich sein
wird."
Wagner reichte uns beiden die Hand, dann setzten wir uns. Reber öffnete
seine Akte.
"Sie waren in allen drei bisherigen Fällen, am Tag nach dem Vorfall als
Erster bei einer der Prostituierten an der Taubenstrasse..."
"Ich wurde angerufen."
"Von wem?"
"Von einer Prostituierten, deren Dienste ich hin und wieder in Anspruch
nehme. Hören Sie, Sie werden doch meiner Frau nichts verraten?"
"Nicht, wenn es sich vermeiden lässt. Wie heisst diese Prostituierte?"
"Sie heisst Stella."
"Stella?" warf ich ein. "Eine kurvige Brünette mit Haaren bis zum Hintern
und Arschbacken mit Warnlichtfaktor?"
"Ja, ungefähr so könnte man sie beschreiben."
"Was wollte sie von Ihnen?" fragte Weber.
"Sie war völlig aufgelöst, sagte, ihre Freundin wäre ermordet worden.
Drei Messerstiche, mitten in's Herz. Sie brauchte Jemanden, der ihr
Trost spendete."
"Was hat sie für das 'Trostspenden' denn berechnet?" fragte ich.
"Ich bitte Sie! Das wurde nicht berechnet. Diese Frauen sind schliesslich
auch nur Menschen."
"Wie wahr, wie wahr", seufzte ich.
Auf dem Weg zum nächsten Verhör blickte mich Reber streng an. "Diese
Stella gehört auf die Verdächtigenliste. Und Sie haben mir natürlich nicht
gesagt, dass Sie eine dieser Huren dort kennen!"
"Ach, kommen Sie, Inspektor, wenn ich Ihnen alle Prostituierten aufzählen
soll, die ich kenne..."
"Das wäre mir sehr lieb, wenn Sie dies tun würden."
"Also gut. Fangen wir beim Gesamtbundesrat an..."
Der Priester war mittelgross und kräftig gebaut. Sein Name war Ignazio Kum-
mer. Mit so einem Namen musste er ja Priester werden.
"Sie waren mit einigen der Opfer auf der Strasse gesehen worden?" befragte
Reber ihn.
"Beruflich, Inspektor. Ich bin Seelsorger, wie Sie wissen, und diese Damen
waren meine Schäfchen."
"Haben Sie sie auch hin und wieder mal geschert?" warf ich ein.
"Torso!" entrüstete der Inspektor sich.
"Wie bitte?" fragte der Prediger. Das war eine interessante Umkehrsituation;
normalerweise fragen die Polizisten und die Geistlichen entrüsten sich.
"Haben Sie", wandte Reber sich wieder dem Priester zu, "irgendetwas erfah-
ren, das uns vielleicht weiterhelfen könnte?"
"Ich denke nicht. Wenn, dann hätte ich es Ihnen mitgeteilt. Es sei denn, es
wäre unter das Beichtgeheimnis gefallen."
Der Gassenarbeiter hiess Roland Sommer. Ich fand das ein Glück für ihn,
denn wer auf der Gasse lebt, mag einen Herrn Sommer sicher lieber als einen
Herrn Winter. Er war klein und untersetzt.
"Eine Menge dieser Damen war den Drogen sehr zugetan", erzählte er. "Sie
sollten in dieser Richtung ermitteln."
"Das haben wir bereits", erwiderte Reber. "Das erwies sich als Sackgasse."
"Familienangehörige? Viele sind Ausreisser, einige sogar unehelich geboren.
Verbotene Kinder, wenn Sie wissen, was ich meine."
"Wir halten uns jede Option offen.Sie hatten, nehme ich an, nur beruflich
mit ihnen zu tun?"
"Ein paar wurden Freunde, haben den Ausstieg geschafft, aber ansonsten...
ich habe noch nie ihre 'Dienste' in Anspruch genommen, wenn Sie dies
meinen."
Wieder in seinem Büro meinte ich zu Reber: "Ich habe mich geirrt. Sie
hatten recht: es war nicht der Priester."
"Ich habe doch gar nie gesagt, dass es nicht der Priester war. Ich hielt nur
den Verdachtsgrund für unangemessen."
"Ach so. Gut, dass Sie mir das sagen. Sonst hätte ich beinahe eine Dumm-
heit begangen und mich bei Ihnen entschuldigt."
"Was denken Sie über den Fall?"
"Ich habe einen Verdacht, bin mir aber noch nicht sicher. Es wäre gut, alle
bisher Beteiligten am Tatort zu versammeln."
"Alle bisher Beteiligten" waren in diesem Fall die Herren Wagner, Kummer
und Sommer und Stella. Und natürlich Reber und ich. Kummer bekam Stiel-
augen, als er Stella erblickte. Bei Predigern, insbesondere katholischen, ist
dies, bei der Begegnung mit jungen Frauen, eine Nebenerscheinung ihres
Berufs. Wagner blickte sie eher besorgt an. Ich trat zu ihm.
"Haben Sie uns irgend etwas zu sagen?"fragte ich ihn.
"Ich wüsste nicht was."
"Stella ist für Sie nicht irgendeine Nutte, nicht wahr? Sie ist ihre uneheliche
Tochter!"
"Papa, nein!" schrie Stella.
"Schon gut, Schatz", meinte Wagner. "Ja, es stimmt. Meine Frau weiss nichts
von ihr. Sie... ist die Frucht eines früheren Abenteuers."
"Weil Sie von der Damenwelt nie die Finger lassen konnten, nicht wahr? Und
doch haben Sie sie unterstützt und ihr sogar ermöglicht, Soziologie zu studie-
ren. Wer weiss ausser Ihnen um dieses Geheimnis?"
"Ich", warf Sommer ein. "Stella hatte es mir erzählt."
"Ich kann dazu leider nichts sagen", meinte Kummer. Das beantwortete die
Frage allerdings mehr als genug.
"Maria und Mona", sagte Stella. "Sie waren meine Freundinnen, ihnen habe
ich es anvertraut."
"Und dann haben Sie sie hintergangen", sagte ich zu ihr, und zu Wagner ge-
wandt: "Sie haben Sie erpresst, nicht wahr? Würden Ihrer Frau die ganze Ge-
schichte offenbaren? Und deshalb mussten sie sterben?"
Wagner setzte sich auf eine Parkbank und vergrub das Gesicht in seinen Hän-
den. "Es...es war ein Affekt", schluchzte er.
"Beim ersten Mal mag dies noch so gewesen sein", warf ich ihm vor. "Aber
dann kam die zweite Mitwisserin und führte weiter, was ihre Freundin begon-
nen hatte. Und diesmal wussten Sie, dass Sie töten können. Stellas gewählte
Sprache, die Tatsache, dass sie studieren konnte... das sagte mir, dass sie einen
Gönner hatte, der Geld hat. Und da passte ein Bankier besser in's Bild als ein
Priester oder ein Gassenarbeiter. Und wenn sie ihm auch noch so sehr vertraut,
dass sie ihn anruft, um Trost zu finden...Ich war mir erst nicht sicher, aber Herr
Sommer hat mir einen versteckten Hinweis gegeben, als er sagte, einige der
Mädchen hier wären unehelich geboren. Und da die einzige Verbindung zwi-
schen Stella, den Opfern und den Verdächtigen bei Ihnen lag, vermutete ich
irgendwann, dass ein Familiendrama dahintersteckte.
"Es...es tut mir leid", schluchzte er.
Reber trat hinter ihn. "Das nützt Ihnen jetzt auch nichts mehr", meinte er.
Nachdem Wagner von zwei Polizisten abgeführt worden war, Kummer sich
in die Kirche und Sommer sich zur Arbeit begeben hatte, standen Reber,
Stella und ich noch dort und diskutierten weiter. Stella hatte ihren anfäng-
lichen Schock inzwischen etwas überwunden. Da fragte Reber: "Was ich
noch wissen möchte, Torso: Wer war denn nun Ihr Auftraggeber?"
"Meine Auftraggeberin", berichtigte ich ihn und legte meinen Arm um
Stelle. Es dauerte einen Moment, bis er begriff.
"Sie sagten doch, es wäre Jemand mit Einfluss?" polterte er.
"Stimmt doch auch", meinte ich. "Oder kennen Sie Jemanden mit mehr Ein-
fluss auf die Männerwelt als eine Prostituierte?"
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