Freitag, 15. Februar 2013

Aufzeichnungen eines Aussenseiters, 15.2.2013

Immer diese Zwänge! Wir werden gezwungen, so zu leben, wie die Gesellschaft es
uns vorgibt, und nicht nur das: Wir werden sogar gezwungen, so zu sein! Dabei
möchten wir Alle doch so glücklich werden, wie wir es für richtig halten und mög-
lichst beschwingt, fröhlich und motiviert durch's Leben gehen können.

Während der Schulzeit wurde ich oft gefragt: "Bist du so? Oder tust du nur so?"
Ich war enorm schüchtern, hatte starke Hemmungen. Gleichzeitig hatte ich auch
sehr viel Fantasie, es hiess sogar, ich hätte zu viel Fantasie. Das war in der ersten
Klasse, in einem Alter, in dem Fantasie doch eine Selbstverständlichkeit hätte sein
sollen!
Mein ganzes Leben lang wurde bei mir ADS vermutet, aber nie wirklich abgeklärt.
Noch im 10. Schuljahr wurde ich zum letzten Mal zur Schulpsychologin geschickt,
und auch die schien mit meiner Fantasie Mühe zu haben, als ich beim Rorschach-
Test weder einen Schmetterling noch eine Blume in dem mir gezeigten Tinten-
klecks entdeckte, sondern zwei Grizzlybären, die Boogie-Woogie tanzten. Diese
Psychologin meinte, ich wäre total gaga! Ich finde eher gaga, die Fantasie testen
zu wollen, um dann gerade dann nicht mehr weiter zu wissen, wenn Jemand eben
Fantasie hat!
Das erinnert mich an einen Film, den ich kürzlich sah, den schwedischen Spiel-
film "Die Kunst, sich die Schuhe zu binden". Da geht es um geistig Behinderte,
die stark im Singen sind und deswegen von ihrem neuen Pfleger zu einer Casting-
Show angemeldet werden. Diese Leute wollen das auch, wer sich quer stellt sind
ihre Eltern. "Das sind erwachsene Menschen, keine Kinder mehr", sagt der Pfleger
in einer Szene. "Ich finde, diejenigen, die hier geistig behindert sind, sind Sie."
Diese Geschichte ist übrigens wirklich passiert, daraus hervor ging das "Garda
Hudik"- Ensemble, das im Film quasi sich selber spielt. Erstaunlich und zum an
den Kopf fassen: Sieben oder acht Jahre lang wird diesen Menschen beigebracht,
wie man Schuhe bindet, aber nicht, wie man ein Formular liest und ausfüllt, also
wie man liest und schreibt. Schliesslich setzt der neue Pfleger durch, dass sie
künftig Schuhe mit Klebeverschluss tragen dürfen. Ich brauchte auch etwa sieben
oder acht Jahre, bis ich endlich Schuhe binden konnte. Im Praktischen war ich nie
besonders gut, mit Ausnahme vom Freihandzeichnen. Man vermutete, dass dies
auch mit ADS zusammenhängt.
Heute war ich beim Arzt, weil ich dies nachträglich endlich abklären will, end-
lich wissen will, was mit mir eigentlich los ist.

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