Montag, 10. Juni 2013

Aufzeichnungen eines Aussenseiters, 10.6.2013

Wer bei den Menschen ankommen will, egal womit, muss den Menschen
etwas bieten. Das gilt heutzutage auch für Zoos und Tierparks. Der Tier-
park in meiner Gegend hat dies schon lange begriffen und macht immer
wieder etwas spezielle Veranstaltungen. Zum Beispiel einmal im Monat
eine Nachtführung bei Vollmond. Und vor Kurzem sogar eine Ueber-
nachtung im Tierpark. Meine Freundin und ich waren, als wir davon
erfuhren, gleich Feuer und Flamme und meldeten uns an.
Um halb sieben Uhr abends war die Besammlung bei der Kasse. Insge-
sammt waren wir acht Personen, wobei zwei davon nur die Führung
mitmachten, ohne dort zu übernachten. Es handelte sich um einen Roll-
stuhlfahrer und seine Begleiterin. Er meinte, die Uebernachtung im
Freien wäre für ihn zu umständlich. Sofort stellten wir uns einander
vor, von Anfang an waren wir alle per Du. Unser Zooführer, ein Zoo-
wärter, der zugleich für die Ausbildungen zuständig ist, begrüsste uns,
und zunächst ging es für eine kleine Vorstellungsrunde in einen Aufent-
haltsraum hinter den Kulissen. Dort wurden Getränke gereicht, Wein
und Orangensaft. Der Wärter erläuterte uns den Ablauf, fragte ob wir
damit einverstanden waren (waren wir), dann ging es an die erste Füh-
rung. Diese war zur Dämmerungszeit, wir sahen also noch, was es zu
sehen gab. Erste Station: die Papageientaucher.
"Anhand der Kopffärbung kann man ungefähr das Alter bestimmen",
erklärte der Wärter. "Je grauer der Kopf noch ist, um so jünger ist
das Tier."
"Wie unterscheidet man Männlein und Weiblein?"
"Gar nicht. Sie haben absolut keine geschlechtsspezifischen Merk-
male. Man muss sie in die Hand nehmen, dann erkennt man's und
kann sie beringen. Die Ringfarbe zeigt dann auch das Geschlecht
an."
"Wäre ein Chip nicht einfacher?"
"Bei Vögeln kann man keinen Chip einpflanzen. Vögel haben- des-
wegen können sie auch fliegen- Luftsäcke. Ein Chip würde verloren
gehen. Die einzigen Vögel, bei denen man mit Chips arbeiten kann,
sind Pinguine, die nicht fliegen können."
Weiter ging's zu den Moschusochsen. "Moschusochsen zählen zu
den gefährlichsten Tieren, die ein Zoo halten kann", erklärte der
Wärter. "Seht ihr die Deformierungen an dem grossen Stein dort?
Die stammen von der Hornplatte in der Stirn des Moschusochsen."
"Was ist der Unterschied zwischen einem Wisent und einem Moschus-
ochsen?" fragte Jemand.
"Der Wisent ist ein Rind, der Moschusochse ein Schaf", war die Ant-
wort.
"Aber er heisst doch Moschusochse?"
"Die deutschen Namen sind leider oft irreführend. Die zoologischen
Namen geben mehr Klarheit."
Weiter zu den Wildkatzen. "Wenn wir eine Wildkatze heraus holen
müssen, um sie zu impfen oder zum Tierarzt zu bringen etc., gibt es
immer Streit darüber, wer hinein muss. Dieser kommt nämlich mit
total verkratzem Gesicht wieder raus."
"Und wenn sonst was bei den Wildkatzen getan werden muss?"
"Unkraut jäten, putzen, alles kein Problem. Dann verziehen sie sich.
Nur einfangen und anfassen lassen sie sich gar nicht gerne."
"Die hat aber einen langen Schwanz", meinte Jemand, in Bezug auf
die Wildkatze, die um diese Zeit natürlich aktiv war.
"Alle Katzen haben den Schwanz ungefähr so lang wie der restliche
Körper", erklärte der Wärter. "Das dient der Balance. Warum aber
ausgerechnet der Luchs nur ein Stummelschwänzchen hat, das weiss
die Wissenschaft bis heute nicht. Ebenso wenig wie wozu die Büschel
an den Ohren dienen."
Die Leoparden waren getrennt, da es immer ein Glücksspiel ist, zwei
Leoparden zusammen zu führen, denn Leoparden sind extrem einzel-
gängerisch. Es kann gut gehen, und sie paaren sich; oder es kann der
schlimmst mögliche Fall eintreffen, und der eine frisst den anderen
auf. Dies mache die Leopardenzucht enorm schwierig.
Wir kamen zu den Eulen. Uhus und Schneeeulen einmal im Flug zu
sehen und den Uhu auch mal persönlich zu hören, das war schon ein-
drücklich.
"Habt ihr gehört, dass ihr nichts gehört habt?" fragte der Wärter.
"Andere Vögel hört ihr, sämtliche Nachtgreife aber fliegen absolut
lautlos. Zwischen den einzelnen Federn befindet sich Luft, was
ihnen dies ermöglicht."
Beim Wolfsgehege schliesslich, neben dem sich die Grillierstelle
befand, rasteten wir und assen. Die Wölfe kamen hin und wieder
und guckten uns neugierig an. Die Wölfin hatte ziemlich grosse
Zitzen, ein Zeichen, dass sie wahrscheinlich säugt, doch hatten die
Wärter noch keine Jungen entdeckt, die waren wahrscheinlich noch
im Wolfsbau versteckt.

Natürlich kam auch die Wolfsthematik zur Sprache, die in einigen
Gegenden ziemlich zu reden gibt zur Zeit. Hier ist die Auslegung
des Wärters: "Das Problem ist dies: Ein Schaf ist so sehr domesti-
ziert, dass es den natürlichen Fluchttrieb verloren hat. Wenn ein
Gepard in der Savanne Gazellen jagt, rennen diese davon. Hat der
Gepard eine erwischt, rennen die anderen weiter. Der Gepard
betätigt sich mit seiner Beute, sein Adrenalin geht zurück, er kommt
zur Ruhe. Jagt ein Wolf ein Schaf, rennen die Schafe zwar auch
davon, aber nur, solange der Wolf rennt. Hat der Wolf ein Schaf
gerissen und bleibt stehen, bleiben die Schafe auch stehen und
fressen seelenruhig weiter Gras. Der Wolf konnte so seinen Adrena-
linstoss noch nicht abbauen, die Schafe präsentieren sich ihm quasi,
also reisst er weiter. Ausserdem, und das ist die Frechheit an der gan-
zen Geschichte: Laut Tierschutzgesetz darf ein Hund nicht mehr als
acht Stunden alleine sein; eine Kuh muss zweimal täglich gemolken
werden- ein Schaf aber wird völlig sich selbst überlassen, es gibt
keine Regeln bezüglich Schafen!"
"Kann der Wärter zu den Wölfen in's Gehege?" fragte Jemand.
"Die verkriechen sich, wenn der Wärter rein kommt", war die Ant-
wort. "Der Wolf wird dem Menschen nicht gefährlich, er har viel
mehr Angst vor uns als wir vor ihm."
Nach dem Abendessen gab es die Nachtführung. Inzwischen war es
dunkel, man sah nicht mehr viel, doch erfuhren wir einiges über
Fischotter, Biber und Wildschweine. Danach ging es zu den jewei-
ligen Schlafplätzen, die wir uns frei aussuchen konnten. Meine
Freundin hatte eine aufblasbare Luftmatratze dabei, auf der wir
unsere Schlafsäcke ausbreiten konnten. Wir legten uns zwischen
das Wolfs-und das Bärengehege. Wir hörten die Leoparden brüllen
und die Eisfüchse bellen. Am Morgen wurden wir von einem klopfen-
den Specht geweckt. Vor dem Frühstück gab es noch die letzte Führung,
die Morgenführung. Nun ging es zu den Bären, die brav daher zu trotten
kamen, als der Wärter erzählte.
"Diese Bären haben eine Fehlkonditionierung", erzählte er. "Sie sind unter
Menschen aufgewachsen. Eigentlich sollten sie, wenn wir hier stehen, nur
kurz ihre Neugier befriedigen kommen und dann wieder abzischen, statt,
wie sie es nun tun, dazubleiben."
"Kann der Wärter zu ihnen herein?"
"Wenn er hier drin zu tun hat, sind die Bären im Stall. Auch die Fütterung
findet im Stall statt. Wegen ihrer Fehlkonditionierung wissen wir nie ganz
genau, wie sich sich je nach Situation verhalten würden."
Zum Schluss ging es noch zu den Wisenten und den Rothirschen. Wisente,
auch dies Tiere, zu denen der Wärter nicht einfach so hinein kann. So fried-
lich Wisente oder Moschusochsen- die ja beide Pflanzenfresser sind- auch
wirken mögen, fühlt sich so ein Tier bedroht und greift an, so sind das um
die 400kg reine Muskelmasse, die in einem Wahnsinnstempo auf einem
zustürmt...
Es war eine sehr interessante Sache, das ganze Paket, das uns da geboten
wurde. Nach dem offiziellen Teil waren wir frei, noch zu bleiben oder zu
gehen. Meine Freundin und ich blieben noch und sahen uns die Seehunde-
fütterung an, dann machten wir uns auf den Weg, beide im Wissen, dass
wir dies ziemlich sicher wieder machen würden. Groarr!

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